Der Regisseurin Andrea Breth ist in Marbach der Schillerpreis verliehen worden. Ihr Laudator, der für seinen Spott gefürchtete Kritiker Gerhard Stadelmaier, zeigte sich dabei als großer Liebender.

Stuttgart - Nicht selten fragt man sich, was ein Preisträger eigentlich mit demjenigen zu tun hat, dessen Namen der Preis trägt. Dieser Frage ist man beim diesjährigen Schillerpreis der Stadt Marbach am Neckar enthoben. Kaum jemand hat ihn so sehr verdient wie die Regisseurin Andrea Breth. Sie hat aus einem Dramatiker, den die Schule den meisten jungen Menschen zu verleiden vermochte (Andrea Breth selbst spricht von ihrer ersten Begegnung mit Schiller am Gymnasium als „desaströs“) und dessen Stücke nicht ohne Grund – jedenfalls so, wie sie inszeniert wurden – als hoffnungslos verstaubt galten, einen Zeitgenossen gemacht.

 

Für seine Laudatio musste sich der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier, der seine steile Karriere bei der Stuttgarter Zeitung begonnen hat und nach Jahrzehnten bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kürzlich in den Ruhestand getreten ist, nicht verbiegen. Er, der als ätzender Spötter gefürchtet ist, kann auch ein leidenschaftlich Liebender sein, und dass Andrea Breth zu seinen Favoritinnen neben „den großen Welttheaterregisseuren Peter Stein, Peter Brook, Luc Bondy, Ariane Mnouchkine und den verstorbenen Klaus Michael Grüber und Peter Zadek“ gehört, ist bekannt. Wer diesen  Kanon teilt, trifft auf den Konsens jener Theaterfans, die von der Gegenfraktion konservativ gescholten werden.

Nachlauschen statt Aktualisieren

Stadelmaier beschreibt die Freiburger „Kabale und Liebe“ der jungen Andrea Breth, nicht ohne Seitenhiebe gegen neunzig Prozent des gegenwärtigen Theaters. Er streift den wegen einer Krankheit der Regisseurin nicht zustande gekommenen Wiener „Wallenstein“, analysiert en passant entscheidende zwei Minuten aus Kleists „Zerbrochnem Krug“, den Breth in Essen für die Ruhrtriennale inszeniert hat, bedauert, dass dieser nicht zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, wo man mittlerweile sogenannten Projektentwicklungen den Vorzug gibt, und kehrt dann zum Burgtheater und zu Schiller zurück, zur „Maria Stuart“ von 2001 und, auf dem Umweg über Lessings „Emilia Galotti“ von 2002, zum „Don Karlos“ von 2004. Kennzeichnend ist die Formulierung, Breth habe „ihren Figuren nachgelauscht“. Sie habe sie „nicht aktualisiert, sondern für das Aktuelle entdeckt“.

Andrea Breth, die in Stuttgart zuletzt an der Oper mit ihrem grandiosen „Jakob Lenz“ aufgefallen ist, beklagt in ihrer Dankrede den Bildungsverfall bei Publikum, Schauspielern und Regisseuren. Theater „rechnet sich nicht, wie man so scheußlich formuliert“. In erster Linie interessiere sie der politische Schiller, bekennt die Laureatin und erläutert das am Beispiel des „Don Karlos“. Freilich: den sinnlichen Eindruck einer Aufführung kann das Referat nicht ersetzen. Die Veranstalter betonen, dass Andrea Breth (erst) die sechste Frau sei, die den Schillerpreis erhält. Sie ist aber die Erste aus der Theaterpraxis, die die Domäne der Wissenschaftler, der Publizisten und kurioserweise der Politiker erobert. Bei der Musikauswahl durchbricht die Feierstunde das übliche Schema: Lieder von Wolfgang Rihm vor den Butterbrezeln sind nicht alltäglich. Aber sie passen zu Andrea Breth.