Die Branche profitiert kaum vom guten Konsumklima – und entwickelt sich gegen den Bundestrend. Bei der Vorlage der Halbjahresbilanz formuliert der Handelsverband Forderungen an die amtierende Landes- und die künftige neue Bundesregierung.

Stuttgart - Die Einzelhändler in Baden-Württemberg blicken auf eine durchwachsene erste Jahreshälfte zurück. Die Umsätze im mit mehr als 40 000 Betrieben und rund 500 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten drittgrößten Wirtschaftszweig im Land haben im Zeitraum von Januar bis Juli lediglich um 0,7 Prozent zugelegt. Wie schon im Vorjahr ist der Südwesten damit deutlich hinter den Bundesschnitt zurückgefallen, wo die Händler im gleichen Zeitraum einen Zuwachs von 2,8 Prozent verzeichneten.

 

Mit Erklärungen tat sich Hermann Hutter, der Präsident des Handelsverbandes Baden-Württemberg (HBW), am Dienstag in Stuttgart schwer. „Wir stehen mit unseren Produkten in Konkurrenz zur Automobilindustrie und zum Immobiliensektor. Die Menschen sind bei kleinen Dingen offenbar etwas sparsamer“, sagte Hutter. Der Handel profitiere dadurch kaum vom positiven Konsumklima. Die stark durch kleine und mittelgroße Städte geprägte Handelslandschaft im Südwesten habe an Anziehungskraft eingebüßt. Das treffe vor allem selbstständige Einzelhändler, so Hutter. Sie sehen sich zunehmend dem Wettbewerbsdruck durch den Onlinehandel konfrontiert. Längst nicht immer könnten es sich Unternehmen leisten, eigene Onlineshops aufzubauen. Dennoch gebe es noch Nischen, in denen sich Investitionen lohnten und Händler über digitale Vertriebswege zusätzliche Umsätze erwirtschaften könnten.

Jahresausblick fällt optimistischer aus

Ein weiterer Grund für stagnierende Umsätze seien witterungsbedingte Absatzschwierigkeiten: „Wir haben erst im Mai zum ersten Mal den Sommer richtig gespürt“, so Hutter. Das Wetter trägt allerdings auch zum optimistischen Jahresausblick bei: Weil pünktlich zum Herbstanfang und dem Ende der Sommerferien richtiges Schmuddelwetter Einzug gehalten hat, besteht durchaus Grund zur Zuversicht, dass die aktuellen Herbst- und Winterkollektionen nicht zu Ladenhütern werden. So hält der Verband auch an seiner Prognose für das Gesamtjahr fest: „Wir hoffen, das Jahr 2017 mit einem Plus von zwei Prozent abschließen zu können“, sagte HBW-Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann.

Die Verbandschefin nutzte die Gelegenheit, auch Forderungen der Branche an die amtierende Landes- und die künftige neue Bundesregierung zu formulieren: Das Thema Infrastruktur sei mittlerweile „in Berlin angekommen“, so Hagmann. Im Sinne von Händlern und Kunden müsse endlich der Ausbau von Breitband- und Wlan-Netzen beschleunigt werden. Auch bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten erhoffen sich die Arbeitgeber ein Entgegenkommen der Politik: Hier fordert der Verband einen Umstieg von der täglichen auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit. „Jeder hat begriffen, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert“, so Hagmann.

Einzelhändler müssten darüber hinaus steuerlich entlastet werden. Der Handel fordere mit Vehemenz die Reformierung der Unternehmensbesteuerung, etwa im Bereich der Gewerbesteuer, die kleinere Betriebe überdurchschnittlich belaste. Die Verbandsvertreter bekräftigten auch ihre Forderung nach der Abschaffung von europäischen Steueroasen für den Online-Handel. „Die Rahmenbedingungen müssen für alle Händler so gestaltet werden, dass sie fair sind und der stationäre Handel vor dem Hintergrund des digitalen Wettbewerbs nicht noch mehr unter Druck gerät“, sagte HBW-Präsident Hutter.

An die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg richtete seine Kollegin Hagmann den Appell, den in diesem Jahr aufgelegten, aber bereits aufgebrauchten Fördertopf für den sogenannten „Digital-Bonus“ wieder neu aufzufüllen. Damit würden kleine Händler finanziell beim Aufbau von digitalen Vertriebswegen wie Onlineshops unterstützt.

Starker Anstieg des Online-Anteils erwartet

Das Internet allein könne die Unternehmen allerdings nicht zum Erfolg führen, schränkte Hagmann ein – auch wenn der Handelsverband einen Anstieg des Online-Anteils am Gesamtumsatz von derzeit knapp zehn auf bis zu 20 Prozent bis zum Jahr 2020 prognostiziert. „Die stationären Händler müssen gemeinsam mit den Städten daran arbeiten, dass sie für Kunden attraktiv bleiben“, so die Verbandsgeschäftsführerin. Dabei spiele die Frequenz eine entscheidende Rolle. Sinke diese gerade in den Randlagen großer Städte, aber auch in den Einkaufsstraßen von Mittelzentren kontinuierlich weiter, brechen die wichtigen Impulskäufe für die Händler weg – also ungeplante Einkäufe von Passanten.

Debatten wie die aktuelle zur Feinstaubbelastung und möglichen Fahrverboten in der Landeshauptstadt hätten bereits jetzt negative Einflüsse auf die Besucherfrequenz, stellte Hagmann fest. Solche Diskussionen würden Kunden und Händler gleichermaßen verunsichern. Das Gleiche gelte für das zunehmende Problem der organisierten Bandenkriminalität: „Wir brauchen schärfere Gesetze und eine konsequentere Verfolgung und Bestrafung von solchen Straftaten, die im Einzelhandel jährlich Milliardenschäden verursachen“, forderte Hagmann.