Die Insolvenz des Familienunternehmens Schlecker vor einem Jahr hat viele Verlierer hervorgebracht; noch immer sind rund 10.000 ehemalige Angestellte ohne Arbeit. Aber es hat auch Profiteure gegeben. Eine Analyse.

Stuttgart - Vor einem Jahr wurde bei Schlecker, der bis dahin größten deutschen Drogeriekette, das Insolvenzverfahren eröffnet. Als Ende März 2012 zunächst 2400 Filialen geschlossen wurden, kostete diese erste von zwei Entlassungswellen fast 12 000 Beschäftigte den Job. Ein Blick zurück auf die spektakuläre Pleite.

 

Die „Schlecker-Frauen“

Wochenlang beschäftigte das Schicksal der „Schlecker-Frauen“ die Republik. Konnte man einfach so zusehen, wie Zehntausende berufliche Existenzen vernichtet werden? Einige, wie der baden-württembergische Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD), meinten: nein. Andere wie sein bayerischer Amtskollege Martin Zeil (FDP) verhinderten aber die von Schmid angestrebte Transfergesellschaft für die Mitarbeiterinnen. Am Ende blieb der Mehrzahl der knapp 25 000 Beschäftigten nur der Weg zum Arbeitsamt. Der Ausdruck „Schlecker-Frauen“ ist seither nur noch selten in den Medien aufgetaucht, einmal zu Beginn dieses Jahres, als er als Favorit in die Wahl zum Unwort des Jahres 2012 gegangen war, dann allerdings nicht den Zuschlag erhielt. Im niedersächsischen Melle forderte die örtliche Gewerkschaftsvertreterin sogar die Umbenennung der „Anton-Schlecker-Straße“ in „Schlecker-Frauen-Allee“.

Ein Jahr danach haben knapp die Hälfte der im März und Juni 2012 gekündigten Schlecker-Beschäftigten wieder einen Job. Nach jüngsten Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind dies 10 700. Weitere 2750 haben sich aus Gründen wie Rentenbezug abgemeldet. Knapp 10 000 Ex-Beschäftigte der einstigen Drogeriemarktkette sind noch immer arbeitslos gemeldet.

Knapp die Hälfte hat wieder einen Job

Vereinzelt haben aber auch mutige Frauen ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Nach jüngsten Zahlen der BA waren es 145, die heute ehemalige Schlecker-Filialen oder andere kleine Läden in Eigenregie betreiben. Die Gewerkschaft Verdi hat in der Region Stuttgart ein Pilotprojekt mit sogenannten „Drehpunkt“-Märkten gestartet, die von früheren Schlecker-Beschäftigten betrieben und von Rewe mit Drogerieartikeln und Lebensmitteln beliefert werden.

Anton Schlecker und die Familie

Was das Unternehmen in den Ruin getrieben hat, ist längst klar und unbestritten: „Schlecker ist vor allem an seiner eigenen Unternehmenskultur gescheitert – eine Geizkultur, die ganz persönlich von Anton Schlecker geprägt wurde“, beschreibt es Roland Alter in seinem Buch „Schlecker oder Geiz ist dumm“. Der Leiter des Studiengangs Betriebswirtschaft und Unternehmensführung an der Hochschule Heilbronn attestiert dem Firmenpatriarchen schweres unternehmerisches Versagen nach innen und außen: „Es war nicht nur materieller Geiz, sondern auch und insbesondere der Mangel an Vertrauen und Respekt den Menschen gegenüber. Und es war auch der Geiz bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit.“ Schlecker habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt und sei – streng betriebswirtschaftlich betrachtet – letztlich „an den zu geringen Flächenumsätzen gescheitert“, ist Alter überzeugt.

Bis heute hat sich der Mensch, der im Mittelpunkt des spektakulären Untergangs eines deutschen Firmenimperiums stand, nicht in die Öffentlichkeit gewagt. Kein einziges Wort ist überliefert, weder eines der Rechtfertigung noch eines des Bedauerns. Wenigstens seine Kinder haben ihr Schweigen gebrochen: „Es ist nichts mehr da“, sagte Meike Schlecker über das Vermögen des Vaters bei der ersten Pressekonferenz im Hause Schlecker seit 1994, nur wenige Tage nachdem das Unternehmen am 20. Januar die Insolvenz angekündigt hatte. Ihre Worte sollten sich viel später als unwahr erweisen. Mitte des Jahres gab es eine weitere Stellungnahme in Form eines offenen Briefes: „Es ist ein Schock, eine Tragödie und ein Desaster“, schreiben die Schlecker-Kinder darin. Das Lebenswerk der Eltern sei zerbrochen. „Aber auch wir Kinder liegen oft wach und grübeln.“

Grund des Scheiterns: die eigene Unternehmenskultur

Intensiv gegrübelt hat Anton Schlecker allem Anschein nach bereits im Vorfeld der Pleite, und zwar darüber, wie er zumindest einen Teil seines Vermögens beiseite schaffen und damit vor der Insolvenz retten kann. Als eingetragener Kaufmann, das war dem Unternehmer klar, haftet er im Fall der Fälle mit seinem gesamten Privatvermögen. Nun könnte die Pleite auch ein juristisches Nachspiel für Schlecker haben: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt wegen des Verdachts der Untreue, Insolvenzverschleppung und des Bankrotts.

Der Insolvenzverwalter

Nach monatelanger Prüfung der Schlecker-Bücher kam der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz zu der Überzeugung, dass Vermögenswerte von Angehörigen des Firmenpatriarchen in die Insolvenzmasse zurückübertragen werden müssen. Vor wenigen Tagen einigte sich Geiwitz schließlich mit Lars und Meike Schlecker über die Zahlung von 10,1 Millionen Euro. Diese wenigen Millionen verpuffen jedoch angesichts der offenen Forderungen von mehr als einer Milliarde Euro.

Geiwitz macht den Gläubigern – darunter sind auch viele ehemalige Lieferanten und Mitarbeiter – wenig Hoffnung und hat sicherheitshalber schon einmal drohende Masseunzulänglichkeit beim Insolvenzgericht Ulm angezeigt. Die endgültige Rechnung kann erst aufgemacht werden, wenn alle Immobilien verkauft sind. Sein großes Ziel, einen Käufer für das gestürzte Drogerieimperium zu finden, hat Geiwitz verfehlt: „Wir kamen als Notärzte, aber Schlecker war mit unseren Mitteln nicht zu retten“, sagt er. Da weder eine Transfergesellschaft zustande kam noch ein Investor gefunden wurde oder eine massive Kostensenkung im Unternehmen gelang, blieb dem Insolvenzverwalter letztlich nur noch die geordnete Abwicklung von Schlecker.

Die Erben

Abgeklebte Schaufenster versperren den Blick auf verwaiste triste Ladenräume, an manchen Stellen erinnert noch ein blau-weißer Schriftzug oder das, was davon übrig geblieben ist, an die einst erfolgreichste deutsche Drogeriemarktkette. Doch nicht alle 5400 Filialen von Schlecker, Schlecker XL und Ihr Platz in Deutschland stehen heute noch leer. In eine Reihe von Läden ist ein dreiviertel Jahr nach dem Ausverkauf wieder Leben eingezogen. Mehr als 100 Filialen gehören heute zum Netz des Textildiscounters Kik, des Ein-Euro-Ladens Tedi oder des Kaufhauses Woolworth.

Keine Angaben kommen von der Konkurrenz

Die einstige direkte Konkurrenz hält sich bedeckt: Als einzige der drei am Markt verbliebenen großen Drogerieketten äußert sich Rossmann zu übernommenen Standorten und Mitarbeitern. 92 von 370 Geschäften der Schlecker-Tochter Ihr Platz gehören heute den Niedersachsen, die 2000 Schlecker- und Ihr-Platz-Mitarbeiter weiterbeschäftigen. Weder DM noch Müller machen Angaben zu übernommenen Läden oder Beschäftigten. Sicher ist, dass neben direkten Konkurrenten auch Supermärkte und Discounter von der Schlecker-Pleite profitieren. Sie haben ihre Drogeriesortimente nach der Insolvenz der Ehinger zum Teil deutlich aufgestockt.

Das Auslandsgeschäft

Schlecker Spanien war nicht nur das größte, sondern auch das erfolgreichste Auslandsgeschäft der pleitegegangenen Drogeriekette. Die rund 1100 spanischen Filialen und 40 ebenfalls zur Gruppe gehörende Läden in Portugal galten in der Branche als profitabel. 2011 setzten sie zusammen 320 Millionen Euro um. So verwundert es nicht, dass dafür im Gegensatz zur deutschen Konzernmutter ein Investor gefunden wurde: die spanische Supermarktkette Distribuidora Internacional de Alimentacion (Dia). Die Tochter des französischen Einzelhandelsriesen Carrefour hat die Filialen übernommen, inklusive der rund 4000 Mitarbeiter und Warenbestände. Die Spanier wollen weiter im Drogeriegeschäft expandieren, bis zum Jahr 2014 sollen 62 neue Filialen eröffnen.

Die Auslandsgeschäfte in Frankreich und Tschechien, wo Schlecker jeweils knapp 150 Filialen betrieben hat, fanden ebenso Käufer wie die zweitgrößte Auslandstochter Schlecker Österreich. Der Wiener Investor Rudolf Haberleitner sicherte sich mit seiner Beteiligungsgesellschaft Tap 09 neben den etwa 900 Standorten in Österreich auch 450 zur Gruppe gehörende Filialen in Italien, Polen, Belgien sowie in Luxemburg und beschäftigte rund 4600 Mitarbeiter weiter. Die ehemaligen Schlecker-Märkte heißen heute Dayli-Shops. Haberleitner will damit die Idee der Tante-Emma-Läden neu beleben: Die Shops bieten neben Drogeriewaren auch Lebensmittel und Dienstleistungen an, es gibt Backtheken und Poststellen. Sein ehrgeiziges Ziel ist der Aufbau eines Dayli-Filialnetzes mit 3500 Standorten in Süd-, Ost- und Mitteleuropa bis 2016 – vielleicht ist es ja der Beginn einer neuen Erfolgsgesichte.