Die Dramatik im Gerichtssaal hatte in der Tat auch Hollywood-Qualität: etwa als sich der Angeklagte von den Schilderungen der tödlichen Verletzungen seiner Geliebten erschüttert immer wieder in einen grünen Kübel übergeben musste oder sich zu Beginn seines Kreuzverhörs bei Reevas Familie tränenreich für seine angeblich versehentlich abgegebenen Todesschüsse entschuldigte. Reevas Mutter June starrte indessen nur bewegungslos auf den Angeklagten. Zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens kam es zu einer versöhnlichen Geste. Die eigentliche Show lieferten aber die beiden Kontrahenten Barry Roux und Gerrie Nel. Über Monate teilte sich das Kap der Guten Hoffnung in ein Lager der Roux- und der Nel-Fans auf. Die

 
Vor dem Gericht: Pistorius umlagert von Journalisten Foto: dpa
juristischen Fakultäten des Landes sahen sich mit massenweise Anfragen zu den Voraussetzungen eines Jurastudiums konfrontiert. Rap-Sänger verfassten Verse auf die neuen Reality-TV-Stars. Und von der korrupten Regierungspartei genervte Bürger schlugen dem unbestechlich erscheinenden Staatsanwalt Nel eine politische Karriere vor.

Kein hieb- und stichfestes Motiv für einen geplanten Mord

Nur eines gelang den beiden Widersachern nicht: eindeutige Beweise dafür zu präsentieren, dass ihre Sicht der Vorgänge die einzig mögliche ist. Wer erwartet hatte, dass Staatsanwalt Nel irgendwann einen unschlagbaren Trumpf aus der Tasche ziehen würde, sah sich enttäuscht. Nicht einmal die Daten der Handys gaben Entscheidendes her, zu deren Entschlüsselung drei Mitglieder der Staatsanwaltschaft noch kurz vor dem Prozess eigens zu Apple nach Kalifornien geflogen waren. Selbst ein hieb- und stichfestes Motiv für einen geplanten Mord blieben die Ankläger schuldig. Bei dem angeblichen Streit zwischen Pistorius und seiner Freundin Steenkamp handelt es sich wohl um unbewiesene Spekulationen. Pistorius’ Darstellung der Ereignisse in der Tatnacht, die er bereits kurz nach seiner Festnahme vor eineinhalb Jahren geschildert hatte, konnte Staatsanwalt Nel im Kreuzverhör nicht ad absurdum führen: Auch wenn es einige Unwahrscheinlichkeiten, kleinere Widersprüche und „Nachbesserungen“ in der Fassung des Angeklagten gab – ausgeschlossen ist seine Version mitnichten.

Dasselbe gilt allerdings auch für die Fassung des Staatsanwalts. Nur einer weiß die Wahrheit aus eigener Anschauung. Doch der saß befangen auf der Anklagebank. So war Richterin Masipa bei ihrer Suche nach der Wahrheit auf Indizien und die Aussagen der Zeugen angewiesen. Auch diese widersprachen sich jedoch. Wie etwa Pistorius’ Nachbarn, von denen manche in der Tatnacht eine Frauenstimme im Streit, andere eine verzweifelte Männerstimme gehört hatten. Masipa blieb nichts anderes übrig, als die ihr am wahrscheinlichsten erscheinende Version aus den Aussagen der Zeugen zu destillieren.

Von einer ehemaligen Kollegin wird Masipa als eine Frau beschrieben, die sich nicht unterkriegen lässt. Sie wuchs als ältestes von zehn Kindern in der Johannesburger Schwarzensiedlung Soweto auf, schlief auf dem Küchenboden, studierte erst Sozialarbeit, um sich später als Journalistin zu verdingen und absolvierte schließlich ein Jurastudium. Im Alter von 43 Jahren macht sie ihr Staatsexamen und wird acht Jahre später zur zweiten schwarzen Richterin an einem südafrikanischen Landgericht ernannt.

Zwei scharfe Urteile gegenüber männlichen Gewalttätern

Die Justizbehörde beharrt darauf, dass die Wahl Masipas zur Vorsitzenden Richterin zufällig erfolgt sei. Spätestens Masipa selbst machte aus dem Zufall aber Methode, indem sie sich als Beisitzer eine weiße Amtsrichterin und einen schwarzen Amtsrichter aussuchte – ein Bollwerk der Ausgewogenheit. Was man von Masipa selbst eigentlich nicht sagen kann. Die Richterin machte in ihren knapp 16 Amtsjahren durch zwei scharfe Urteile gegenüber männlichen Gewalttätern auf sich aufmerksam: Sie brummte einem Polizisten lebenslänglich auf, der seine Frau im Streit wegen der von ihr gewünschten Scheidung umgebracht hatte, und verdonnerte einen Serienvergewaltiger zu 252 Jahren.

Darüber, wie Masipa den Angeklagten einschätzt, wird viel spekuliert in Südafrika. Womöglich werde sie in Oscar Pistorius eher den schießwütigen Macho sehen, der seine Freundin an jenem 14. Februar 2013 in seiner Wohnung in Pretoria im Streit absichtlich tötete (wie der Staatsanwalt unterstellt) und weniger den verwundbaren Behinderten, der tragischerweise in Panik seine schöne Geliebte in der Toilette erschoss. In bald jeder Kneipe, in den Wohnzimmern ist der Prozess Gesprächsstoff, denn er wird von jeder Menge Zuschauern bis ins letzte Detail verfolgt. Erstmals in der Geschichte des Landes wurde ein Verfahren live ins Fernsehen übertragen.

Tränenreiche Entschuldigung vor laufenden Kameras

Die Dramatik im Gerichtssaal hatte in der Tat auch Hollywood-Qualität: etwa als sich der Angeklagte von den Schilderungen der tödlichen Verletzungen seiner Geliebten erschüttert immer wieder in einen grünen Kübel übergeben musste oder sich zu Beginn seines Kreuzverhörs bei Reevas Familie tränenreich für seine angeblich versehentlich abgegebenen Todesschüsse entschuldigte. Reevas Mutter June starrte indessen nur bewegungslos auf den Angeklagten. Zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens kam es zu einer versöhnlichen Geste. Die eigentliche Show lieferten aber die beiden Kontrahenten Barry Roux und Gerrie Nel. Über Monate teilte sich das Kap der Guten Hoffnung in ein Lager der Roux- und der Nel-Fans auf. Die

Vor dem Gericht: Pistorius umlagert von Journalisten Foto: dpa
juristischen Fakultäten des Landes sahen sich mit massenweise Anfragen zu den Voraussetzungen eines Jurastudiums konfrontiert. Rap-Sänger verfassten Verse auf die neuen Reality-TV-Stars. Und von der korrupten Regierungspartei genervte Bürger schlugen dem unbestechlich erscheinenden Staatsanwalt Nel eine politische Karriere vor.

Kein hieb- und stichfestes Motiv für einen geplanten Mord

Nur eines gelang den beiden Widersachern nicht: eindeutige Beweise dafür zu präsentieren, dass ihre Sicht der Vorgänge die einzig mögliche ist. Wer erwartet hatte, dass Staatsanwalt Nel irgendwann einen unschlagbaren Trumpf aus der Tasche ziehen würde, sah sich enttäuscht. Nicht einmal die Daten der Handys gaben Entscheidendes her, zu deren Entschlüsselung drei Mitglieder der Staatsanwaltschaft noch kurz vor dem Prozess eigens zu Apple nach Kalifornien geflogen waren. Selbst ein hieb- und stichfestes Motiv für einen geplanten Mord blieben die Ankläger schuldig. Bei dem angeblichen Streit zwischen Pistorius und seiner Freundin Steenkamp handelt es sich wohl um unbewiesene Spekulationen. Pistorius’ Darstellung der Ereignisse in der Tatnacht, die er bereits kurz nach seiner Festnahme vor eineinhalb Jahren geschildert hatte, konnte Staatsanwalt Nel im Kreuzverhör nicht ad absurdum führen: Auch wenn es einige Unwahrscheinlichkeiten, kleinere Widersprüche und „Nachbesserungen“ in der Fassung des Angeklagten gab – ausgeschlossen ist seine Version mitnichten.

Dasselbe gilt allerdings auch für die Fassung des Staatsanwalts. Nur einer weiß die Wahrheit aus eigener Anschauung. Doch der saß befangen auf der Anklagebank. So war Richterin Masipa bei ihrer Suche nach der Wahrheit auf Indizien und die Aussagen der Zeugen angewiesen. Auch diese widersprachen sich jedoch. Wie etwa Pistorius’ Nachbarn, von denen manche in der Tatnacht eine Frauenstimme im Streit, andere eine verzweifelte Männerstimme gehört hatten. Masipa blieb nichts anderes übrig, als die ihr am wahrscheinlichsten erscheinende Version aus den Aussagen der Zeugen zu destillieren.

Denkbar ist eine Verurteilung wegen Totschlags

Ein detektivisch-psychologischer Balanceakt, um den die Richterin nicht zu beneiden ist. Beobachter halten es für möglich, dass allein der Vortrag ihres vermutlich Hunderte von Seiten langen Urteils mehr als einen Tag lang dauern wird. Dass die Richterin mit einem der beiden Extreme – schuldig des geplanten Mordes oder unschuldig wegen Notwehr – aufwarten wird, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Um das Urteil lebenslang zu verhängen, sind bessere Beweise nötig. Andererseits ist so gut wie auszuschließen, dass Pistorius freigesprochen wird. Schließlich hat er einen unschuldigen Menschen umgebracht. Denkbar ist etwa eine Verurteilung wegen Totschlags, dem statt Absicht ein Versehen zugrunde liegt.

Reagiert ein Behinderter auf Gefahr anders?

Würde Richterin Masipa der Schilderung des Angeklagten Glauben schenken, könnte sie Pistorius eines im Affekt begangenen Mordes für schuldig befinden, denn der leicht aufbrausende Waffennarr ließ sich zumindest einen schweren Verstoß gegen das Waffengesetz zuschulden kommen, indem er das Feuer auf eine nicht einmal wahrgenommene Person eröffnete. Wie konnte er sich sicher sein, dass von dieser Person tatsächlich eine Gefahr ausging?

Spätestens hier stellt sich die Frage, ob ein Behinderter auf Gefahr nicht ganz anders reagiert als ein im Vollbesitz seiner Kräfte stehender Mensch. Ein Thema, dem viele Stunden des Prozesses gewidmet waren. Die Verteidigung präsentierte einen Sachverständigen, der beschrieb, warum Pistorius gleichzeitig einer der schnellsten Menschen und doch eine durch und durch verunsicherte Person sein kann. Ein Behinderter verliere das Bewusstsein seines körperlichen Defizits niemals, sagt Sportpsychologe Wayne Derman: „Er wacht morgens mit dem Wissen um seine Versehrtheit auf und geht abends damit ins Bett.“

Pistorius’ tragische Geschichte wird Richterin Masipa in ihrem Urteil nicht unberücksichtigt lassen können – zu sehr ist seine traumatische Vergangenheit mit den Ereignissen in der Tatnacht verbunden. Der Verlust der beiden Beine im Alter von elf Monaten; der Verlust der Mutter, die starb, als Oscar 15 Jahre war; der Vater, der sich niemals um den Sohn kümmerte. Oscar leitete offenbar alle Wut über sein Schicksal in seine Sportlerkarriere. Er ging mit seinen Prothesen bald dermaßen geschickt um, dass er Karriere macht als „schnellster Mensch der Welt ohne Beine“. Aus dem Jungen aus Pretoria wird allmählich ein Star mit reichlich Arroganz und Hochmut. Ein Grund dafür, dass ihn viele Südafrikaner – ob mit den nötigen Beweisen oder nicht – für viele Jahre hinter Gittern sehen wollen.

Chronologie zum Fall Oscar Pistorius

14./15. Februar 2013 Oscar Pistorius wird nach den tödlichen Schüssen auf seine Freundin Reeva Steenkamp festgenommen. Wegen Mordverdachts erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage.

19. Februar 2013 Er habe geglaubt, auf Einbrecher zu zielen, sagt der Profisportler.

22. Februar 2013 Pistorius kommt gegen Kaution und Auflagen frei. Der Richter kritisiert Staatsanwaltschaft und Polizei: Es gebe keine klaren Beweise für eine vorsätzliche Tat. Aber auch Pistorius’ Aussage sei widersprüchlich.

3. März 2014 Der Prozess beginnt in Pretoria. Pistorius beteuert erneut seine Unschuld.

10. März 2014 Bei der Aussage des Pathologen, der Steenkamps Leiche obduziert hat, bricht Pistorius zusammen und übergibt sich.

8. Juli 2014 Die Beweisaufnahme wird abgeschlossen. Insgesamt hatten Anklage und Verteidigung 36 Zeugen aufgeboten.

7./8. August 2014 Im abschließenden Plädoyer erneuert der Chefankläger seinen Mordvorwurf, der Verteidiger fordert Freispruch.