In erster Linie aber ist es das Staunen über die bizarren Erfindungen der Natur, das viele Schneckenforscher antreibt. Kopfschüttelnd stehen auch Experten vor Phänomenen wie dem Liebesspiel des Tigerschnegels Limax maximus. Diese 10 bis 20 Zentimeter langen Nacktschnecken seilen sich bei der Paarung gemeinsam an einem Schleimfaden ab. Kopfüber hängen die beiden Partner von einem Baum und verdrehen ihre Körper ineinander. Dann stülpen sie ihre schlauchartigen Genitalien aus, winden sie spiralförmig umeinander und übertragen das Sperma von Spitze zu Spitze. Anschließend ist es gar nicht so einfach, sich wieder zu trennen.

 

Bei den nordamerikanischen Bananenschnecken der Gattung Ariolimax klappt das nicht immer. Manchmal schaffen sie es nicht, ihre Genitalien aus der weiblichen Geschlechtsöffnung zu befreien. Und dann greifen mindestens zwei Arten dieser Weichtiere zu einer drastischen Maßnahme: Sie beißen sich den Penis selbst ab oder lassen ihn vom Partner abknabbern – und führen ihr Leben künftig nicht mehr als Zwitter, sondern als Weibchen weiter.

Auch andere Schneckenarten scheinen eine Vorliebe für verletzungsträchtige Sexpraktiken zu haben. Die Weinbergschnecke Helix pomatia zum Beispiel rammt ihrem Partner bei der Paarung einen sogenannten Liebespfeil in den Körper. Wissenschaftler haben jahrelang über die Funktion dieser spitzen Kalkwaffen gegrübelt. Inzwischen ist klar, dass die kriechenden Zwitter ihrem Partner damit eine Art Spritze verpassen. Sie injizieren ihm ein hormonähnliches Sekret, das den Spermien den Weg zu den Eiern erleichtert. Die Substanz verengt den Gang zu einem Organ namens Bursa copulatrix, in dem die Schnecken fremdes Sperma verdauen. Statt in diesem körpereigenen Abfallbehälter landet das Sperma des Liebespfeil-Schützen dann in der Samentasche des Partners, in der es bis zur Befruchtung aufbewahrt wird.

Eine ähnliche Funktion könnten auch die Drüsen haben, die im Liebesspiel der Deroceras-Arten eine wichtige Rolle spielen. Wie die Finger einer Hand legen sie sich nach dem eigentlichen Akt auf den Rücken des Partners und übertragen ein Sekret. Zu gern würden Heike Reise und ihre Kollegen herausfinden, was das soll. „Wir vermuten, dass die Ackerschnecken auf diese Weise ihren Partner manipulieren, um ihre Vaterschaft zu sichern“, sagt die Forscherin. Ein Liebespfeil für Pazifisten.