Am nächsten Morgen klingelt der Wecker, und Julia fürchtet sich. Am Abend zuvor ging es noch, da ist sie sofort eingeschlafen. Ein tiefer und traumloser Schlaf. Aber jetzt, als sie aufwacht, erinnert sie sich wieder. Wo sie ist: auf der Couch im Gästezimmer ihrer Eltern. Warum sie hier ist: weil sie in zweieinhalb Stunden operiert und zu einem neuen Menschen wird.

 

Sie geht ins Bad und stellt sich vor den Spiegel. Ein letztes Mal den alten Körper betrachten. Julia schaut sich an, von rechts, von links, von vorn. Plötzlich kommen ihr Zweifel. Wie es wohl wäre, wenn sie absagte. Wenn sie nicht hinginge. Aber dann gibt sie sich einen Ruck. Nicht absagen, nicht wegbleiben. Sie zieht das durch.

Von ihren Eltern lässt sie sich zur Klinik fahren. Im Wagen herrscht Stille, Julia will jetzt nicht reden und auch keine tröstenden Worte hören, sondern nur, dass alles schnell vorbeigeht.

In der Stuttgarter Klinik führt eine Schwester sie in ihr Zimmer. Es ist weiß, steril, mit drei schwarz-weißen Zeichnungen an der Wand und einem weiß-schwarzen Hemd auf dem Bett. Das ist Julias Operationshemd. „Bitte ziehen Sie sich um“, sagt die Schwester und geht. Julia setzt sich auf das Bett, das jetzt ihres ist. Der Körper, der bald nicht mehr ihrer ist, zittert.

Kurz vor der Operation haben alle Angst

Sie ist relativ klein und kräftig und trägt nur formlose Kleidung. Jeans, weißer Pullover, schwarze Weste, kein Risiko. Seit dem Abitur arbeitet sie als Bedienung in einem Restaurant für schwäbische Spezialitäten, und seit Jahren wünscht sie sich, dass ihr Körper anders wäre. Dünner, straffer, schöner. Denn dann wäre auch ihr Leben anders, angenehmer, besser.

Julia isst immer, wenn sie Stress hat. Sie isst besonders viel, als ihre Mutter an Krebs erkrankt. 25 Kilogramm mehr bringt sie auf die Waage. Sie hungert, aber kurze Zeit später hat sie alles Gewicht wieder drauf. Die Haut ist schlaff von den Kiloschwankungen, ihre Brüste hängen wie die einer alten Frau. Der Körper ist ein Resultat von allem, was in ihrem Leben schiefläuft, so klingt es, wenn Julia erzählt. „Aber mit der OP wird alles besser“, sagt sie und isst noch ein Stückchen Schokolade.

Wenn Julia etwas sagt, spricht sie ruhig, leise und entschlossen. Sie ist niemand, der sich Entscheidungen leichtmacht: Ein Jahr hat sie überlegt, dann ihre Eltern um einen 7000-Euro-Kredit für die Operation gebeten und einen Termin in der Stuttgarter Privatklinik festgemacht. „Ich will das so sehr, dass mir die Risiken egal sind“, sagt Julia und nimmt noch Schokolade, „aber so groß sind die ja eh nicht.“

Ein letzter Blick auf den alten Körper

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker, und Julia fürchtet sich. Am Abend zuvor ging es noch, da ist sie sofort eingeschlafen. Ein tiefer und traumloser Schlaf. Aber jetzt, als sie aufwacht, erinnert sie sich wieder. Wo sie ist: auf der Couch im Gästezimmer ihrer Eltern. Warum sie hier ist: weil sie in zweieinhalb Stunden operiert und zu einem neuen Menschen wird.

Sie geht ins Bad und stellt sich vor den Spiegel. Ein letztes Mal den alten Körper betrachten. Julia schaut sich an, von rechts, von links, von vorn. Plötzlich kommen ihr Zweifel. Wie es wohl wäre, wenn sie absagte. Wenn sie nicht hinginge. Aber dann gibt sie sich einen Ruck. Nicht absagen, nicht wegbleiben. Sie zieht das durch.

Von ihren Eltern lässt sie sich zur Klinik fahren. Im Wagen herrscht Stille, Julia will jetzt nicht reden und auch keine tröstenden Worte hören, sondern nur, dass alles schnell vorbeigeht.

In der Stuttgarter Klinik führt eine Schwester sie in ihr Zimmer. Es ist weiß, steril, mit drei schwarz-weißen Zeichnungen an der Wand und einem weiß-schwarzen Hemd auf dem Bett. Das ist Julias Operationshemd. „Bitte ziehen Sie sich um“, sagt die Schwester und geht. Julia setzt sich auf das Bett, das jetzt ihres ist. Der Körper, der bald nicht mehr ihrer ist, zittert.

Kurz vor der Operation haben alle Angst

Mit Schwung öffnet Dr. Andrea Becker die Tür zum Behandlungszimmer, Julia sitzt darin und trägt das OP-Hemd und Thrombosestrümpfe, im Arm hat sie eine rot-blaue Kanüle, in die der Anästhesist das Narkosemittel leiten wird. Julia schaut ängstlich, sie wirkt viel jünger, als sie ist. „Wie geht’s Ihnen, ist alles okay?“, fragt Becker und lächelt dabei aufmunternd. Sie kennt das. so kurz vor der Operation haben alle Angst, und die nimmt man am besten mit Aktion: „Machen Sie sich bitte frei!“

Mit grünem Edding-Stift zeichnet sie Striche auf Julias Brust, schreibt Zahlen daneben, zeichnet auf, wo sie mit dem Skalpell schneiden will. Julia steht da, als sei es gar nicht ihr Körper, der bemalt und vermessen wird. Sie schaut starr auf einen Punkt an der Wand, die Hände zu Fäusten geballt.

Kurze Zeit später, Julia ist jetzt weggedämmert, setzt Becker vorsichtig das Skalpell auf. Sie drückt, etwas tiefer, etwas stärker, dann gibt die Haut nach. Die Ärztin schneidet eine lange blutige Linie hinein, immer genau an den Edding-Markierungen entlang, die sie vorher auf Julias Körper gemalt hat. Mit einer Pinzette beginnt sie, die Haut abzuziehen, um an das Fleisch darunter heranzukommen; es sieht aus, als löse sie ein großes helles Pflaster von einer dunkel blutenden Wunde ab. „Man muss schon ein guter Handwerker sein“, sagt Dr. Becker.

Dann ist endlich das Gewebe frei gelegt, eine formlose blutige Masse aus Fleisch und Fettzellen. Abwägend nimmt Becker es in die Hand. Prüft, was sich aus dem vorhandenen Material machen lässt, wie viel sie wegnehmen muss, an welcher Stelle. Mit geübten Handgriffen schneidet sie schließlich ein Stück Gewebe aus der Masse: 200 Gramm Fleisch hat sie weggenommen, „das ist schon ganz ordentlich“, sagt sie zufrieden.

Becker fügt die neue Brust zusammen

Mit einem letzten Nadelstich fügt Becker die neue Brust zusammen. Aus der unförmigen Gewebemasse ist wieder ein menschlicher Körperteil geworden, noch mit deutlichen OP-Spuren zwar, aber kleiner als vorher und straff, darauf kommt es an. Die Narben verblassen mit der Zeit. „Die neue Brust passt sehr gut zu ihr“, sagt Becker.

In dreißig Minuten ist die nächste Operation, eine Lidstraffung, aber vorher muss sie noch was essen, sie braucht eine Pause. Andrea Becker streift die blutverschmierten Handschuhe ab, sie hat ein Schinkenbrot von daheim mitgebracht, das in der Küche auf sie wartet. Die Arbeit ist fürs Erste getan.

Schweigend starrt Julia an die Decke, schon mehrere Stunden lang und immer in der gleichen Position. Sie darf sich nicht bewegen, die frischen Wunden könnten aufreißen, sobald sie die Arme zu stark hoch nimmt oder den Körper dreht. Aber Julia will ohnehin nichts tun, das Narkosemittel wirkt noch nach, die Schmerzmittel machen sie träge. Sie ist müde, erschöpft. Und glücklich, sagt sie. Sie sei jetzt ein anderer Mensch, jemand, den sie selbst schön finden und mögen könnte. Dann sagt sie noch, dass sie Hunger habe. Ein Stück Schokolade wäre jetzt schön.