Vergessen Sie Vorurteile gegen die britische Küche. In Schottland kann man wirklich gut essen.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Es ist ein Leichtes, Frankreich kulinarisch zu erkunden. Genießen in Süditalien? Pah, eine Sache für Anfänger. Aber auf Food-and-Drink-Reise in Schottland? Ein Wagnis? Die Klischees sitzen so tief wie der Mythos um Nessie. Schottland bietet Burgen, Highlands, viel Whisky und Regen. Aber Feinschmeckerlokale? Haggis ist die bekannteste Spezialität: gefüllter Schafsmagen. Die meisten verziehen das Gesicht, wenn sie davon hören, und lassen sich schwer davon überzeugen, dass Haggis wirklich sehr delikat sein kann und ein bisschen wie ein Blut-Griebenwurst-Gemisch schmeckt. Dazu gibt es Neeps and Tatties, Rüben- und Kartoffelstampf.

 

Mit dem schottischen Essen ist es ein bisschen wie mit dem schottischen Wetter. Es wird unterschätzt. Dann steht man auf einmal im Oloroso, einem schnieken Restaurant über den Dächern von Edinburgh. Tony Singh, ein Inder mit lilafarbenem Turban und schottischem Akzent, begrüßt uns. Seine Küche ist alles andere als indisch, richtig schottisch aber auch nicht. Singh lebt in dritter Generation in Schottland. Er schaut auf seine Stadt, auf Edinburgh, auf die sieben Hügel: "Wie Rom", sagt er und lacht. Seit 22 Jahren arbeitet er als Koch fast ausschließlich mit regionalen Produzenten zusammen. "Schottland bietet kulinarisch so viel", sagt Singh. "Hier kommen Einflüsse aus aller Welt zusammen." Und er sagt, wie’s nun mal ist: "I love Scottish food." In seinem Oloroso serviert er Schweinefleisch mit Lauch, Shitakepilzen und geraspelten Radieschen, Reh mit Sojaschaum und wilden Kartoffeln, weiße flüssige Schokolade zum Nachtisch. Und natürlich Käse, der hier in keinem guten Restaurant als Menüabschluss fehlen darf. Anster, Dunlop, Aiket, eine Art cremiger Brie, oder der Dunsyre Blue, ein deftiger Blauschimmelkäse. Im Gegensatz zu England hat Schottland französische Einflüsse – das schmeckt man.

Die Schotten kochen ein bisschen so, wie sie sind. Ehrlich, lustig, bodenständig. Schottland arbeitet vehement gegen seinen schlechten kulinarischen Ruf an. 2010 ist das Food-and-Drink-Jahr. In den vergangenen zehn, 15 Jahren hat sich hier viel verändert. Man ist auf der Suche nach dem authentischen Geschmack. Dafür hat die Insel beste Voraussetzungen, nämlich wunderbare Rohware.

Ein kleiner Trip hinaus aus der altehrwürdigen Tante Edinburgh macht dies noch deutlicher. Der Weg führt über Porth vorbei an Dundee, wo der Legende nach die Orangenmarmelade erfunden wurde. In Dunkeld wird seit 35 Jahren Lachs geräuchert, vor 200 Jahren wurde hier noch Bier gebraut, eine Zeit lang auch mal Limonade hergestellt. Das Fischen von Lachs ist angeblich ganz einfach: wenn man sich dafür eine Lizenz bei der örtlichen Postfiliale kauft. Im Fluss Tay schwimmen die Lachse, die eine Delikatesse sind. Beim Räuchern im Dunkeld House werden alte Whisky-Eichenfässer zweckentfremdet. Natürlich von lokalen Destillerien. Immer wieder hört man das Motto: "Think local, buy local, eat local." Gerne. Die Himbeeren sind dunkelrosa und murmelgroß.

Die Fahrt geht weiter, auf der Suche nach dem Genuss. In der Region Perthshire leuchten die Hügel so sattgrün wie aus dem Prospekt. Hier geht der geborene Südafrikaner Pete Gottgens zurück zu seinen Wurzeln und zum originären Genuss. "Ich habe hier alles, was ich brauche", sagt Pete. Und meint damit: Rehe, Moorhühner, Hasen, Enten, Lämmer. Fisch, Langusten und Muscheln kommen von der Küste. Eins nach dem anderen wandert in den Topf oder auf den Grill. An seiner Seite steht Ali Mac Naughton, der in Tweed und Gummistiefeln aussieht wie ein Schotte aus dem Bilderbuch. Er ist seit 26 Jahren der Förster im Estate von Gottgens, der hier das Ardeonaig-Hotel mit einem Restaurant betreibt.

Zurück in der Stadt, zurück in der Hauptstadt der schottischen Michelin-Sterne. In Edinburgh lässt sich viel erleben: Man erklimmt die Pflastersteinwege zur populärsten Touristenattraktion (eine Million Besucher jedes Jahr), zum Edinburgh Castle, schaut in der Schatzkammer vorbei und kann im Queen Anne Café zum Afternoon Tea oder zum Haggis-Essen einkehren. Nein, in Edinburgh geht man nie verloren, wenn man sich einfach immer am Castle orientiert, das über der Stadt thront.

Vom Balmoral hat man einen tollen Blick auf das Castle. Die Turmuhr geht zwei Minuten vor, damit man nicht den Zug von der benachbarten Waverly Station verpasst. Das Hotel liegt in der Mitte zwischen Old und New Town, zwischen der mittelalterlichen Stadt und den georgianischen Townhouses. Das Restaurant Number One, im Souterrain des Balmoral beheimatet, kann sich seit sieben Jahren mit einem Michelin-Stern schmücken. Auch hier werden regionale Produkte verwendet – nur neu interpretiert.

Vier weitere Sterne-Restaurants gibt es im angesagten Viertel Leith am Hafen, wo es vor vielen Jahren Inder, Polen und Italiener angespült hat. Der Norden Edinburghs hat die höchste Michelin-Sterne-Dichte in Schottland, der Film "Trainspotting" wurde hier gedreht. In einem ehemaligen Leuchtturm befindet sich das Fishers Bistro. Bodenständige Fisch- und Muschelgerichte werden angeboten, aber auch Rindfleisch vom berühmten Scotch Aberdeen Angus-Rind. Die Austern sind aus Loch Etive, die Muscheln von den Shetland-Inseln, der Hummer aus North Berwick, einem ursprünglichen Fischerdorf, wo vor hundert Jahren die Edinburgher ihren Sommerurlaub verbracht haben.

Hier in Leith hat auch die Cateringfirma Heritage Portfolio ihren Sitz, die zudem diverse Museumsgastros betreibt. Robbie Gleave hat Jakobsmuscheln von der Westküste vor sich liegen, die besten der Welt, wenn man Gleave glauben darf. Er bereitet die Jakobsmuscheln auf Butternusskürbismousse mit Zitronensaft und Petersilie zu. In seiner Küche werkelt eine zehnköpfige junge Multikulti-Truppe, die so auch bei Jamie Olivers TV-Sendung mitspielen könnte.

Entwicklungschef Gleave sagt: "Wir sind stolz auf unser schottisches Essen, nicht nur auf Shortbread und Tee." Er entwickelt neue Ideen und Konzepte, serviert Porridge, lauwarmen Haferschleim, im Espressotässchen, in einer Pipette ist der passende Whisky abgezapft. Sogar die Queen lässt sich von den Jungs bekochen, wenn sie in ihrem Palace of Holyroodhouse in Edinburgh ihre Sommerparty schmeißt. Da wird Saft von Äpfeln serviert, die von Prince Charles angebaut worden sind. Lediglich Princess Anne will eine Extrawurst: Sie trinkt nur Nescafé.

Schottland

Anreise
British Airways und Lufthansa fliegen zum Beispiel ab Stuttgart mit Zwischenstopp nach Edinburgh (hin und zurück ab circa 120 Euro pro Person).

Essen und Übernachten
The Balmoral Hotel (1 Princes Street, Edinburgh, www.thebalmoralhotel.com) ist das Luxushotel vor Ort. Das Restaurant Number One (www.restaurantnumberone.com) im Keller des Hotels kann auch ohne Übernachtung besucht werden. Es geht natürlich auch günstiger, wie beispielsweise im Hudson Hotel im Zentrum von Edinburgh (9–11 Hope Street, Edinburgh, www.thehudsonhotel.co.uk. Ab 80 Euro die

Nacht im Doppelzimmer.
Gut essen kann man beispielsweise im Oloroso Restaurant (33 Castle Street, Edinburgh, www.oloroso.co.uk) oder im Fishers (1 Shore, Leith, Edinburgh, www.fishersbistros.co.uk).

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall Haggis, den gefüllten Schafsmagen, probieren. Das Gericht schmeckt besser, als man es sich vorstellt. Das ehemalige "Arme-Leute-Essen" ist auch ein beliebtes Sonntagsgericht. Auf keinen Fall den Regenschirm vergessen. Es regnet häufig sehr überraschend, auch wenn zwei Minuten vorher noch die Sonne gescheint hat.

Zur Vorbereitung
empfehlen sich die Städteführer "Edinburgh" (Marco Polo, 9,95 Euro) und "Edinburgh mit Glasgow und Highlands" (Dumont direkt, 7,95 Euro).

Informationen
Die Website www.visitscotland.com bietet einen guten Überblick. Kulinarische Adressen finden Sie unter http://eatscotland.visitscotland.com. Es gibt auch diverse Gruppenreisen für Firmen. Einen guten Überblick bietet die Seite www.conventionscotland.com/german.