Kurz vor dem Unabhängigkeitsreferendum am 18. dieses Monats nimmt zwischen Glasgow und Kirkcaldy die Hitze des politischen Gefechts zu. Das bekommen vor allem die Gegner der Unabhängigkeit zu spüren.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Kirkcaldy - In England hat mit den sinkenden Temperaturen der Herbst begonnen. Resigniert holt man in London die warmen Sachen aus dem Schrank. Den Schotten aber, droben im hohen Norden, scheint der September das Blut in Wallung zu bringen. Kurz vor dem Unabhängigkeitsreferendum am 18. dieses Monats nimmt zwischen Glasgow und Kirkcaldy die Hitze des politischen Gefechts zu. Das bekommen vor allem die Gegner der Unabhängigkeit zu spüren. Prominente Westminster-Politiker, die die Abspaltung Schottlands von England verhindern wollen, stoßen bei Auftritten häufig auf lautstarken Widerstand. Manch einem fällt es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Ein Toppolitiker der Labour Party, Jim Murphy, musste seine ausgedehnte Tour – 100 Städte in 100 Tagen – unterbrechen, als ihm in der Hafenstadt Kirkcaldy Eier um die Ohren flogen.

 

Murphy hat die Partei der schottischen Nationalisten, die SNP, für die Koordination solcher Rowdy-Aktionen verantwortlich gemacht. „Ein intoleranter Nationalismus“, klagte er, breche sich hier Bahn. Als „Faschisten“ hatte im Vorjahr schon der Vorsitzende der Rechtspartei Ukip, Nigel Farage, Demonstranten gegen seinen Auftritt in Schottland bezeichnet.

Camerons Auftrittsort glich einer Festung

Farage hatte sich in Edinburgh in einen Pub flüchten müssen, bevor die Polizei ihn in einem Mannschaftswagen in Sicherheit brachte. Als Tory-Premierminister David Cameron Glasgow vor Kurzem einen seiner seltenen Besuche abstattete, glich sein Auftrittsort einer Festung. Auch Labours Ex-Premier Gordon Brown wurde in der Stadt Dundee zeitweise am Reden gehindert.

Unterdessen besteht SNP-Chef Alex Salmond – Schottlands Regierungschef – darauf, dass man das Verhalten „von ein paar Idioten“ beider Lager „nicht zu ernst“ nehmen dürfe. Er, Salmond, sei selbst schon von fanatischen Unabhängigkeitsgegnern im Straßenverkehr in Bedrängnis gebracht worden.

Derweil klagen auch andere prominente Briten, die sich gegen Unabhängigkeitspläne ausgesprochen haben, über die Flut wüster Beschimpfungen, die auf sie hereingehagelt ist. Dem großen Paul McCartney etwa, dem neuesten Rekruten des Nein-Lagers, wurde am Wochenende im Internet tausendfach bescheinigt, er sei ein „blödes Arschloch“, habe „mehr Geld als Verstand“ und sei eh so hoffnungslos veraltet, dass man ihn „mit dem Löffel füttern“ müsse.

Die Kluft zwischen beiden Lagern schrumpft

Frustration über den hartnäckigen Umfragenvorsprung der „Unionisten“ während der langen Kampagne haben wohl zu solchen Wutausbrüchen beigetragen. Dabei signalisiert die letzte Umfrage ein bemerkenswertes Schrumpfen der Kluft zwischen beiden Lagern. Angeblich können die Unabhängigkeitsbefürworter jetzt mit 47 Prozent, die Gegner neuerdings nur noch mit 53 Prozent rechnen. Diese paar Prozentpunkte seien auch noch zu schaffen, meinen viele Nationalisten – so sich ein entsprechender Trend in den nächsten Tagen bestätigt.

Entschlossene SNP-Anhänger wollen jedenfalls alles tun, um die „historische Chance“ zu ergreifen. Ein besonders dreister Taxifahrer in Glasgow, so haben Fahrgäste berichtet, frage seine Passagiere, wie sie am 18. September abstimmen werden, sobald sie hinten im Wagen Platz genommen und sich angeschnallt haben. Gibt jemand zu, gegen die Unabhängigkeitsforderung zu sein, muss er für die Dauer der Fahrt Vorwürfe und bohrende Fragen über sich ergehen lassen.

Ein genervter Fahrgast berichtete später, er sei angeherrscht worden, dass er ja wohl „bekloppt“ sei. „Sind Sie ein Tory – oder was?“, habe der Fahrer von ihm wissen wollen. Ein anderer Passagier schlug vor, an dem betreffenden Taxi „ein blinkendes Warnschild“ anzubringen. „Ich sollte mich eigentlich beschweren“, sagte er nach einer Tour in dem besagten Taxi, „aber im Augenblick spinnt das ganze Land. Ich bin nur froh, wenn alles vorüber ist.“