Unabhängige Schotten wären auch für die Europäische Union eine Herausforderung – in juristischer wie in politischer Hinsicht. Schließlich gibt es keinen Präzedenzfall für die Abspaltung eines Landes aus der EU.

Brüssel - Wem gehört das Öl vor der Küste? Was passiert mit den britischen Atom-U-Booten, die in der Mündung des Flusses Clyde nördlich von Glasgow liegen? Welchen Teil der hohen britischen Staatsschulden müssten die Schotten übernehmen, wenn sie sich tatsächlich für die Unabhängigkeit entscheiden? Es sind gewaltige Fragen, mit denen nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern auch die Europäische Union konfrontiert wäre.

 

Es gibt weder einen Präzedenzfall noch rechtliche Szenarien für den Fall der Abspaltung eines Landes von einem EU-Staat. Er ist in den europäischen Verträgen schlicht nicht vorgesehen. Im Vorfeld des Referendums ist immerhin die Frage geklärt worden, dass Schottlands Territorium, das Stand jetzt zur Gemeinschaft gehört, dies nicht automatisch bleibt. Dieser Hoffnung setzte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso schon 2012 ein Ende, als er in einem Brief an Lord Christopher Tugendhat, den Vorsitzenden des britischen Oberhauses, klarstellte, dass eine Abspaltung „nicht neutral hinsichtlich der EU-Verträge wäre“. Zum Ende wurde Barroso noch deutlicher: „Ein neuer unabhängiger Staat würde in Bezug auf die EU ein Drittstaat und deren Verträge fänden auf seinem Territorium nicht länger Anwendung.“

Die Rechtsgrundlage für eine Wiederaufnahme

Seither konzentrieren sich auch Schottlands Nationalisten darauf, wie schnell und unter welchen Bedingungen ihr neues Land der Gemeinschaft angehören könnte. Ihr Ziel ist, am Tag der Unabhängigkeit quasi übergangslos auch neues EU-Mitglied zu werden. Sie wollen „Verhandlungen von innen“ führen. Doch die Meinungen dazu gehen weit auseinander. Klar ist, dass Schottland, wo der sogenannte „Acquis communautaire“ bereits gilt, alle rechtlichen Voraussetzungen für die „Wiederaufnahme“ erfüllt. Deshalb kann nach Ansicht des SPD-Verfassungsexperten Jo Leinen „ohne Weiteres bis zum geplanten Termin der Unabhängigkeit im März 2016 ein spezieller Beitrittsvertrag ausgehandelt und ratifiziert werden“. Auch der Rechtsprofessor Sionaidh Douglas-Scott von der Uni Oxford wirbt für einen „pragmatischen Ansatz“, wie er etwa bei der – freilich etwas anders gelagerten – deutschen Wiedervereinigung verfolgt wurde. Ohne nahtlosen Übergang würden „die erworbenen Rechte der Schotten als EU-Bürger ignoriert“.

Rechtsgrundlage für die Aufnahme könnten sowohl Artikel 48 des EU-Vertrags sein, der Vertragsänderungen regelt und einen entsprechenden Antrag jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglicht, als auch Artikel 49. Letzterer bestimmt den Ablauf des Beitrittsverfahrens. Und hier liegt für die Schotten der Hund begraben, weil eine Einstimmigkeit im Kreise der Staats- und Regierungschefs und eine Ratifizierung durch alle Parlamente nötig ist. Und es gibt aktuell mindestens drei Regierungen in der EU, die ihren heimischen Unabhängigkeitsbewegungen wohl nicht noch dadurch Auftrieb geben würden, dass sie ein unkompliziertes und reibungsloses Verfahren hin zur Unabhängigkeit organisieren. Das ist an erster Stelle Spanien, wo die Katalanen zuletzt immer stärker auf Eigenständigkeit gedrungen haben. Aber auch Belgien oder Italien, welche die Loslösung Flanderns beziehungsweise Südtirols befürchten, könnten den Schotten ihre Zustimmung verweigern – zumindest zu einem Schnellverfahren.

Rückkehr nicht ausgeschlossen

Barroso prophezeite Anfang des Jahres, der Wiedereintritt in die EU werde „extrem schwierig, wenn nicht unmöglich“. „Das würde Jahre dauern“, glaubt auch Gianni Pittella, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament. Er verweist dabei auch auf komplizierte inhaltliche Fragen. So müssten zum Beispiel die Fischfangquoten neu ausgehandelt werden; zudem fielen für Schottland die zahlreichen Ausnahmeregelungen weg, die sich Großbritannien erstritten hat. „Kein neues Mitglied hat je eine Sonderbehandlung bekommen“, sagt Pittella. Es geht dabei um den Rabatt bei den Beitragszahlungen sowie die sogenannten Opt-Outs bei innen- wie währungspolitischen Regelungen. Konkret wäre Schottland gehalten, dem Schengenraum ohne Grenzkontrollen beizutreten und den auch im Norden der Insel nicht sonderlich beliebten Euro einzuführen.

Manch mahnendes Wort aus Brüssel mag auch anders motiviert sein: Ohne die europafreundlichen Schotten wäre es für Premier David Cameron 2017 noch schwerer, das angekündigte Referendum über den Verbleib der Briten in der EU zu gewinnen.