Kultur: Stefan Kister (kir)

Die eigentliche Basis für die Autorität des dichterischen oder denkerischen Wortes liegt in dem, was darin widerklingt: „Auctoritas“. Der lateinische Begriff bedeutet einerseits „Würde“, „Ansehen“, „Einfluss“, aber eben auch Autorschaft. Ein „Auctor“ ist nun einmal nicht nur der Verfasser oder geistige Urheber eines Werkes, sondern der Schöpfer einer Welt, die von dem Lesenden als sinnerfüllt erfahren wird. Was das Verstehen eines literarischen oder philosophischen Werkes nachzeichnet, ist das vorgängige Weltverstehen des Autors. Er ist Schöpfer eines sinnvoll gestalteten Zusammenhangs.

 

Als Dichter vermag er Menschen dazu zu bringen, sich im Handeln fiktiver Personen wiederzuerkennen, als Philosoph, die Welt so zu beschreiben, dass sich ihre Unübersichtlichkeit der Ordnungsmacht der Begriffe beugt. Auf nichts anderem aber ruht der moralische Vorschuss, der dem Intellektuellen eingeräumt wird.

Der Dichter als Seher ist der vormoderne Ausdruck jener Einsicht, und dass sie sich mit Blindheit gut verträgt, dafür steht die Gestalt des Teiresias, der geblendet wurde, weil er verbotene Geheimnisse offenbarte: erst das Liebesleben der Götter, dann das Familienleben im Hause Ödipus’ – Griechenlands Schande, wenn man so will. Der Dichter sieht anderes und weiter als der sich im Partiellen verausgabende Experte. In der entzauberten säkularisierten Welt ist der einst von Gott inspirierte und zum Wahrsprechen Begabte zum Unheilspropheten geworden, zum Warner und Mahner, der außer einer biegsamen Sprache über einen außerordentlich ausgebildeten Zeigefinger verfügt.

Fragen von Schuld und Verantwortung

In der Wertschätzung des Intellektuellen liegt ein mythisches Erbe, seine Glaubwürdigkeit aber ist ästhetisch vermittelt. Wer in einem Roman darzustellen vermochte, wie sich beispielsweise in einer Stadt wie Danzig der Nationalsozialismus in die Gemüter gräbt, wie der Einzelne zum Handlanger der Macht wird, wer den kleinbürgerlichen Mief in ein großartiges Sittenbild zu fassen vermochte, aus dem die geschichtliche Wahrheit entgegenleuchtet, der durfte mit Recht eine Stimme beanspruchen, wenn es im Nachkriegsdeutschland darum ging, Fragen der Schuld und der Verantwortung zu klären. Und es musste schon viel passieren, dieses Anspruchs wieder verlustig zu gehen.

Der Autor als Schöpfer einer Welt

Die eigentliche Basis für die Autorität des dichterischen oder denkerischen Wortes liegt in dem, was darin widerklingt: „Auctoritas“. Der lateinische Begriff bedeutet einerseits „Würde“, „Ansehen“, „Einfluss“, aber eben auch Autorschaft. Ein „Auctor“ ist nun einmal nicht nur der Verfasser oder geistige Urheber eines Werkes, sondern der Schöpfer einer Welt, die von dem Lesenden als sinnerfüllt erfahren wird. Was das Verstehen eines literarischen oder philosophischen Werkes nachzeichnet, ist das vorgängige Weltverstehen des Autors. Er ist Schöpfer eines sinnvoll gestalteten Zusammenhangs.

Als Dichter vermag er Menschen dazu zu bringen, sich im Handeln fiktiver Personen wiederzuerkennen, als Philosoph, die Welt so zu beschreiben, dass sich ihre Unübersichtlichkeit der Ordnungsmacht der Begriffe beugt. Auf nichts anderem aber ruht der moralische Vorschuss, der dem Intellektuellen eingeräumt wird.

Der Dichter als Seher ist der vormoderne Ausdruck jener Einsicht, und dass sie sich mit Blindheit gut verträgt, dafür steht die Gestalt des Teiresias, der geblendet wurde, weil er verbotene Geheimnisse offenbarte: erst das Liebesleben der Götter, dann das Familienleben im Hause Ödipus’ – Griechenlands Schande, wenn man so will. Der Dichter sieht anderes und weiter als der sich im Partiellen verausgabende Experte. In der entzauberten säkularisierten Welt ist der einst von Gott inspirierte und zum Wahrsprechen Begabte zum Unheilspropheten geworden, zum Warner und Mahner, der außer einer biegsamen Sprache über einen außerordentlich ausgebildeten Zeigefinger verfügt.

Fragen von Schuld und Verantwortung

In der Wertschätzung des Intellektuellen liegt ein mythisches Erbe, seine Glaubwürdigkeit aber ist ästhetisch vermittelt. Wer in einem Roman darzustellen vermochte, wie sich beispielsweise in einer Stadt wie Danzig der Nationalsozialismus in die Gemüter gräbt, wie der Einzelne zum Handlanger der Macht wird, wer den kleinbürgerlichen Mief in ein großartiges Sittenbild zu fassen vermochte, aus dem die geschichtliche Wahrheit entgegenleuchtet, der durfte mit Recht eine Stimme beanspruchen, wenn es im Nachkriegsdeutschland darum ging, Fragen der Schuld und der Verantwortung zu klären. Und es musste schon viel passieren, dieses Anspruchs wieder verlustig zu gehen.

Wer aber halbgare oder gar unhaltbare politische Statements literarisch umdekoriert, Platituden versifiziert, wer mit der Kompetenz politischer Beobachter konkurriert, dabei aber die Qualitätsansprüche des eigenen Metiers verletzt, der diskreditiert nicht nur die Eigenart dichterischen Sprechens: auf den fällt auch der Anspruch polyglotter Zuständigkeit als Dilettantismus zurück.

Dass für beides mittlerweile der Name Günter Grass steht, ist eine Tragik besonderer Art, in der sich wahre und angemaßte Bedeutung gegenseitig kannibalisieren – ganz abgesehen davon, dass Grass nicht nur die eigenen Verdienste, sondern die seines ganzen Standes in Verruf bringt. Von dem Dichter als Seher, der in gebundener Rede den Ratschluss der Götter weiterreicht, bleibt nur die Blindheit. Antisemitisch dunkel oder philhellenisch grell klingt in Grass’ holprigen Zwischenrufen hingegen allenfalls das Echo eigener Zeitungslektüre wider. Dumpf verpufft der engagierte innere Mitteilungsdrang wie in jenen die Gesetze des lyrischen Wortes wirklich makellos beachtenden Zeilen Heinrich Heines an einen politischen Dichter: „Der Knecht singt gern ein Freiheitslied / Des Abends in der Schenke: / Das fördert die Verdauungskraft / Und würzet die Getränke.“