Rund 75 Millionen Euro will die Stadt Stuttgart in einen Schulcampus in Vaihingen investieren. Zuvor wird ausgelotet, wie eng die Schulen kooperieren wollen. Das Projekt könnte zum landesweiten Vorreiter werden.

Stuttgart - Rund 75 Millionen Euro will die Stadt Stuttgart in einen Schulcampus in Vaihingen investieren, der ob seines „hochmodernen Ansatzes“ zum landesweiten Vorreiter werden könnte. Davon ist jedenfalls Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann (CDU) überzeugt. Es gehe dabei nicht nur um Sanierung und Neubau, sondern auch um eine inhaltliche Neuorientierung bei der Kooperation von Werkreal-, Realschule und Gymnasium. Bei der Bürgermeisterin trägt das Projekt den Arbeitstitel „Gemeinschaftsschule Variante Campus Vaihingen“.

 

Einbezogen werden sollen die Pestalozzischule, Robert-Koch-Realschule, das Hegel-Gymnasium und, zumindest ansatzweise, auch die Verbundschule Rohr. Sie alle sind Nachbarn. „Es wär ja ,sünd und schad‘, wenn man diese Option nicht nutzen würde für neue Ansätze“, sagt Eisenmann. „Natürlich“, räumt sie ein, „sind wir formal nur fürs Gebäude zuständig – aber das reicht schon lange nicht mehr für eine Kommune.“ Es geht auch um neue Formen von Unterricht und Zusammenarbeit. Im Detail liegen die Vorstellungen von Stadt und Schulen weit auseinander. Das zeigt sich beim Herzstück des geplanten Campus: einem „Lernhaus“ für alle Werkreal-, Realschüler und Gymnasiasten der Klassenstufen fünf und sechs – und, natürlich, Inklusionskinder.

„Der Vorschlag kommt von uns“, sagt Eisenmann. Damit passt die CDU-Bürgermeisterin, wie schon so oft, nicht ins Schema. Beim Raumprogramm, an dem heftig getüftelt wird, denkt sie nicht an ein Neben-, sondern ein Miteinander. Und an eine verbesserte Durchlässigkeit. Im Grundsatzbeschluss des Rats vom 17. Oktober heißt es, in die Konzeption für ein Raumprogramm eines solchen Lernhauses solle auch der Paradigmenwechsel in der Pädagogik einfließen, also individuelle Förderung, Inklusion, Ganztagsschule sowie „aktivierende Lehr- und Lernformen, klassen- und altersübergreifender Unterricht, Teamarbeit der Pädagogen“.

Bürgermeisterin hätte gern eine Gemeinschaftsschule

Doch was bedeutet das? Der Bürgermeisterin schwebt vor: „Der Gedanke einer Gemeinschaftsschule soll auf diesem Campus realisiert werden.“ Gerade in Vaihingen seien die Bedingungen dafür optimal. Räumlich stimmt das. Doch beantragt hat das bisher keine der Schulen. Natürlich: individuelle Lernformen schreiben alle groß – schon um der Unterschiedlichkeit der Kinder besser gerecht zu werden.

Ein Bekenntnis zur Gemeinschaftsschule äußert nur Sabine Nafe, die Leiterin der Pestalozzischule: „Wir hätten den Wunsch, dass es in der Sekundarstufe eins keine Unterschiede nach Schularten mehr gibt, aber die Lehrer aus jeder Schulart ihre Kompetenzen einbringen.“ Doch damit steht Nafe bislang allein da. Auch ein Konzept liegt noch nicht vor. „Wir sind auf dem Weg zu Inhalten der Gemeinschaftsschule“, sagt Nafe. Sie weiß: ein Antrag beim Land hätte nur Erfolg, wenn mindestens Zweizügigkeit erwartet werden kann. Doch dies wird der Pestalozzischule aus eigener Kraft schwerfallen. In Klassenstufe fünf sind nur 14 Schüler. Nicht nur in Vaihingen sind Werkrealschulen kaum noch gefragt.

Realschule will sich nichts überstülpen lassen

Fred Binder, der Leiter der Robert-Koch-Realschule, sieht in der Gemeinschaftsschule zwar „eine Chance“, aber er sagt auch: „So weit sind wir noch nicht. Das muss sich entwickeln – überstülpen funktioniert nicht.“ Gerade laufe hierzu noch ein – extern begleiteter – Schulentwicklungsprozess, der aber noch nicht abgeschlossen sei. Zudem seien viele Kollegen von der Schulpolitik des Landes verunsichert. Im Zentrum der Überlegungen müsse doch „die beste Lösung für die Kinder“ stehen, meint Binder – wohl wissend, dass es zum Schluss wohl die Realschulen sein werden, die auch die heutigen Hauptschüler zu einem Abschluss führen müssen – irgendwie.

Barbara Graf, die Leiterin des Hegel-Gymnasiums, ist sicher, dass auf dem Campus eine Gemeinschaftsschule entstehen wird: „Die Idee ist, die Trennung der Schularten nach Klasse vier nach hinten zu schieben und Schülern ein echtes Angebot einer Orientierungsstufe in Klasse fünf und sechs zu machen.“ Aber sie fügt gleich hinzu: „Das heißt aber nicht, dass es das Gymnasium nicht mehr gibt – wir werden uns aus der Gemeinschaftsschulgeschichte raushalten und ein Gymnasium bleiben.“

Extraräume zum Chillen und Musizieren

Graf spricht von einem „Lern- und Kulturhaus“, das Fünft- und Sechstklässlern durch Klassenzimmer in Wabenform und zusätzliche Räume nicht nur differenziertere Unterrichtsformen in Kleingruppen ermögliche, sondern auch Aufenthaltsflächen für einen rhythmisierten Schultag bis 15.30 Uhr, „mit Chillecken, wo sich die Kinder zurückziehen können“, und schalldichten Überäumen für Bläser, Trommler und Streicher. Und mit einer Probebühne, die von allen Unterstufenkindern genutzt werde. „Das ist uns allen drei Schulen wichtig“, sagt Graf. Und: „Wenn die Überäume nicht von den Schulen genutzt werden, könnte die Musikschule rein.“

Eine inhaltliche Zusammenarbeit mit den Nachbarschulen kann sich Graf bei Musicals, Konzerten, Theateraufführungen sowie Hausaufgabenbetreuung oder Faschingsdiscos vorstellen. Eine zentrale Mensa lehnt sie ab – „zu großräumig, zu laut“. Auch von der Idee, die Naturwissenschaften zusammenzulegen oder wenigstens das Material gemeinsam zu verwalten, sei man abgerückt. Das sei wegen der unterschiedlichen Bildungspläne und der zu großen Einheiten – acht bis neun Klassen je Jahrgang – „nicht handelbar“. Synergien erhofft sich Graf bei der Schulsozialarbeit. Und: mit einer Inklusionsberatung auf dem Campus könne man Eltern behinderter Kinder entgegenkommen.

Worin sich Graf und Binder einig sind: „Lernen“, sagt Binder, „darf nicht ins Belieben der Kinder gestellt werden.“ Graf: „Die Masse der Bildungsanforderungen sollte auch weiter vom Lehrer strukturiert werden – und nicht vom Schüler.“ Binder ist sicher, dass es „eine starke Zusammenarbeit bei den Kollegen geben wird, auch schulartenübergreifend“. Ein Mittel- und Oberstufenhaus, wie es Eisenmann vorschwebt, wird am Hegel-Gymnasium „nicht diskutiert“. Graf: „Wir werden noch einige Workshops benötigen, um die Chancen für ein gemeinsames Gebäude auszuloten.“