Tschaikowsky-Klassiker ganz neu: Im Theaterhaus läuft „Swan Lake Reloaded“. In der Inszenierung von Frederik Rydman gibt es keine Ballerinas im Tutu sondern Hip-Hop-Moves zu sehen.

Stuttgart - Die Macht der Liebe! Manchmal macht sie alles gut. Oder auch nicht. Denn manchmal muss man leiden, gar achtzig Minuten lang, bevor alles gut wird. Wie bei „Swan Lake Reloaded“: Vier Jahre nach der Premiere in Stockholm gastiert das Liebesmärchen wieder in Deutschland – sechs Tage im Theaterhaus.

 

Nachgeladen, so das letzte Wort im Titel, hat den Stoff, mit dem im 19. Jahrhundert Marius Petipa und Lew Iwanow einen Ballettklassiker schufen, der schwedische Choreograph und Produzent Frederik „Benke“ Rydman. Wäre doch der Komponist des „Schwanensee“, Pjotr Iljitsch Tschaikowski, heuer 175 Jahre.

Und in diesem hohen Alter heißt es „Tschaikovsky meets Streetdance“: Statt Spitzenschuhen gibt es High Heels und Dancesneaker, klassische Fouettés und Pirouettes weichen Break- und Jazzdance, Tschaikowskis Motive werden mit Beats unterlegt, gesampelt, mit eigens geschriebenen Songs schwedischer Soul- und Rock-Popmusiker wie Moneybrother oder Salem Al Fakir ergänzt.

Ist eigentlich kreativ, aber massenkompatibel und effekthascherisch umgesetzt – wie die umgestrickte Story. Zur Erinnerung: Im Original ist Rotbart ein Zauberer, der liebreizende Mädchen in Schwäne verwandelt. In eines davon, Prinzessin Odette, verliebt sich Prinz Siegfried just an seinem 21. Geburtstag. Praktisch eigentlich, ermahnte ihn doch seine Mutter auf der Party zuvor, endlich ein Weib zu wählen. Rotbart freilich schickt Siegfried Odette, ein schwarzes Schwänlein, auf den Hals. Prompt schwört der Jungspund der Falschen ewige Liebe. Das Ende droht: In einer Variante leben beide glücklich bis an ihr Lebensende. In anderen sterben mal beide, mal Siegfried, mal Odette.

Die Schwänlein sind süchtig

Bei Rydman? Nur so viel sei gesagt, kurz vor Schluss richtet Siegfried mit zitternder Hand eine Pistole auf Rotbart, der Odette vergewaltigt hat. Denn in „Swan Lake Reloaded“ ist der Böse kein Zauberer, sondern ein Zuhälter, die Schwänlein, vier an der Zahl, sind heroinsüchtige Prostituierte. Das könnte für frischen Wind sorgen. Doch der weht nicht, weil Rydman jedes Klischee bedient, keinen noch so seichten Gag auslässt. Die Gäste ziehen auf Siegfrieds Geburtstagsparty höchst überspielend eine Line Koks, den der Papa bei Rotbart erwarb. Mama knipst provokant Kerzenlämpchen an den Brustpanzern der aufgetakelten Heiratskandidatinnen an.

Aus dem Geschenk seiner Kumpel springt statt eines Teufels ein Dildo. Und fast alle ziehen sich immer wieder was durch die Beine: Fische, Krawatte, Hände. Kein Wunder, dass das Jungchen deprimiert ist. Die bumsfidelen Freunde schleppen ihn daher ins Rotlichtviertel, wo hinter rot umleuchteten Scheiben die Schwäne in Plüschjacken und schenkelhohen Lackstiefeln mehr schlecht als recht ihre Hintern ins Licht rücken, bevor die Zitterer und Halluzinationen des Entzugs einsetzen.

Getanzt wird auch, Odile erarbeitet sich auf dem Laufsteg twerkend im schwarzen Body hart ihren Verlobungsring, bevor die Partybesucher sich Breakdance-Styles wie Popping, Locking oder schlichtem Rechts-Links-Vor-Zurück hingeben. Durchaus fröhlich, aber der Roboter im Mensch braucht Körperspannung. Die hat der Joker: Daniel Grindeland als Hofnarr beweist mit unzähligen Headspins, Legriders, Windmills oder Backspins beste Breakdance-Technik. Ein Lichtblick wähnt man beim legendären Tanz der vier kleinen Schwäne. Rydman macht daraus eine horizontale Nummer, Arme und Beine in der Luft. Das Fazit von „Swan Lake Reloaded“ ist simpel wie manche Schrittfolge: gewollt, platt, zu sehr auf Wirkung.