Unser Autor Rüdiger Bäßler erkletterte den Turm auf dem Schwarzen Grat an der Adelegg bei Isny. Trotz des Endorphinschwungs nach gelungenem Aufstieg ertappte er sich bei schweren Schicksalgedanken.

Isny - Dieser Turm ist ein ruppiger Geselle. Er schließt die Kaffeefahrer aus, die Fußkranken, die Gebrechlichen und die autoverliebten Ausflügler. Fünf beliebte Freizeitziele an einem Tag? Nicht mit dem Schwarzen-Grat-Turm. Er will, dass man sich zu ihm durchschwitzt, zwar auf gut ausgebauten Pfaden, aber mindestens anderthalb Wegstunden lang.

 

Unsere Tour startet auf dem Parkplatz der Rehaklinik Überruh bei Isny, aber es ist völlig egal, von welcher Seite des Berges man losgeht, der 28 Meter hohe Holzlackel ist nicht zu verfehlen. Der am Fuß der Alpen sich hinstreckende kleine Gebirgszug Adelegg ist uraltes Erholungsgebiet, hier wird seit Hunderten Jahren gelustwandelt. Liebevoll richtet der Schwäbische Albverein jedes Wanderschild gerade, das der Sturmwind schief gehängt hat, oben um den Turm herum sieht der Rasen aus wie in Wimbledon, und erst der Zustand der Spielgeräte: ein Hochgenuss nicht nur für Kinder, sondern auch für jeden Tüv-Prüfer.

Der höchste, auf dem je ein Aussichtsturm gebaut wurde

Fürs Schwitzen kriegt man nicht nur das übliche wohlige Endorphinkribbeln, das sich immer nach Erreichen des höchsten Punktes einer Bergtour einstellt. Hier darf, sofern man kein patriotisch beseelter Badener ist, ruhig auch das kleine Gipfelbuch gezückt werden. Mit 1118 Meter Höhe ist der Schwarze Grat nämlich der höchste Berg des glorreichen einstigen Königreichs Württemberg. Nun gut. Wir streichen vorsichtshalber das Wort glorreich. Und der Schwarze Grat ist nicht der höchste Punkt des alten Württemberg. Das ist der von Isny weit entlegene 1154 Meter hoch gelegene Dreifürstenstein. Deswegen eine Präzisierung: der Schwarze Grat ist der höchste Berg des alten Württemberg, auf dem je ein   Aussichtsturm gebaut wurde. Jetzt stimmt’s.

Nach einer langen Hitzephase zieht an diesem Tag Regen von Westen heran. Am frühen Nachmittag öffnen sich erste Wolken, und in der Turmstube auf dem Schwarzen Grat, die der Schwäbische Albverein sonntags offen hält, platzen die Saitenwürste im heißen Topf. Da kann man nichts machen, sagt das freundliche ältere Paar, das die Stube an diesem Tag bewirtschaftet. Kaffee gibt’s, Bier, Sprudel, Wanderkarten und sogar sehr schön geprägte blecherne Stocknägel für Leute, die sich bei der Auswahl ihrer Gehhilfe dem Carbonwahn störrisch widersetzen.

Warum baut der Mensch Aussichtstürme? Damit er besser sehen kann, das ist wohl klar. Aber auch, um ein Zeichen seiner Existenz, seiner Neugier und seines Fortschrittsglaubens zu setzen. Schon der alte Goethe, ein fleißiger Wanderer, hat niedergeschrieben, er trachte stets danach, „die Pyramide meines Daseins so hoch als möglich in die Luft zu spizzen“. Das große Holzkreuz auf dem Schwarzen-Grat-Turm deutet außerdem darauf hin, dass seine Erbauer ein bisschen näher am lieben Gott sein mochten.

Der Autor Burkhard Spinnen verwertete den Turm

Der Turm fand übrigens auch ganz direkt Eingang in die Literatur, erst in diesem Jahrtausend. Der Autor Burkhard Spinnen beschreibt in seinem Buch „Der schwarze Grat“ die Lebensgeschichte des oberschwäbischen Unternehmers Walter Lindenmaier. Eine Episode zum Ende erklärt den Buchtitel. Im März fliegt der Laupheimer Lindenmaier mit einer Maschine seiner eigenen kleinen Fluglinie von einem Termin in Bern zurück zum Startflughafen in Leutkirch. Schon über dem Bodensee gerät das Kleinflugzeug in ein Gewitter, im Nebel sinkt der Pilot zu tief, auf der Spitze des Schwarzen Grats steift die Maschine Baumwipfel. Die Tragfläche wird aufgerissen, Benzin schießt überall hin, aber wie durch ein Wunder gelingt eine Notlandung auf dem Militärflughafen in Memmingen. Die Passagiere überleben unverletzt. Autor Spinnen macht den Schwarzen Grat zum Sinnbild eines Unternehmerlebens, in dem Tüchtigkeit nicht ohne die Hilfe des Schicksals zum Glück führen konnte.

Noch die 160 hölzernen Stufen hinauf, dann ist es geschafft. Die Turmbauer vom Schwäbischen Albverein haben sich was gedacht, der Aufgang hat die Maße eines bequemen Treppenhauses. Gegenverkehr ist kein Problem. Oben, auf der Aussichtsplattform, weit über den dunklen Fichtenausdehnungen, eröffnet sich ein grandioses 360-Grad-Panorama, das Karwendel, Wetterstein und Silvretta einfasst, davor das sanfte, wiesengrüne Alpenvorland. Wären die Wolken fort, könnte man sogar einen Zipfel des Bodensees erkennen.

Ein großartiger Ausblick, und wir sind da. Sieht uns jemand?

Ein Turm, gelegen an Hauptwanderwegen

Der Schwarze-Grat-Turm ist 1971 vom Schwäbischen Alb-Verein gebaut worden. Der Turm ersetzte einen hölzernen Pavillon aus 1878, der allmählich von Fichten überthront worden war. Der 28 Meter hohe Turm ist, einschließlich der Plattform, ganzjährig geöffnet. Die Turmstube mit Kiosk ist vom 1. Mai bis 1. September an Sonn- und Feiertagen geöffnet. Beliebte Ausgangspunkte für Touren sind die Wanderparkplätze von Bolsternang, Großholzleute, Rohrdorf oder Eschachweiler. Der Turm liegt zudem an den Hauptwanderwegen HW 5 und HW 9 des Schwäbischen Albvereins.