Die Diavolezza ist ein Skigebiet in Graubünden. Skifahren zu später Stunde hat dort Tradition und findet jeweils bei Vollmond von Dezember bis April statt - ein mystisches Erlebnis.

Pontresina - Als die Gondel hinausfährt in die Finsternis, erzählt eine Frau von den Toten, deren Stimmen am Gipfel zu hören sein werden. Heute Nacht gibt es Skilaufen, Schauergeschichten inklusive, auf der Diavolezza nahe Pontresina, Graubünden, ganz im Südosten der Schweiz. Es ist Vollmond, und jeden Monat, wenn er scheint, öffnet die Seilbahn nach dem regulären Dienstschluss noch mal bei Dunkelheit, um Wintersportler auf den Berg zu bringen. Die Gondel gleitet mit 15 Passagieren nach oben, die Scheiben sind beschlagen. Durch ein Guckloch im kondensierten Wasserdampf sieht man am Boden die Eiszapfen eines gefrorenen Wasserfalls. Die Passagiere sind dick angezogen. Einige tragen sogar Gesichtsmasken gegen die drohende Kälte.

 

Beim Aussteigen gibt es für alle eine erste Überraschung. Es herrscht Inversionswetterlage: Hier oben ist es nur knapp unter null Grad und damit wärmer als im Tal. Die Luft ist klar, der Nachthimmel unwirklich dunkelblau. Ein paar Meter hinter der Bergstation stecken Fackeln im Schnee. Sie markieren für alle sichtbar eine Kante, an der man nicht runterfahren sollte. Aber stehen bleiben muss man hier - zumindest für eine Weile, denn die Aussicht ist einzigartig. Man blickt hinunter in einen kleinen Talkessel. Auf der gegenüberliegenden Seite erhebt sich eine Bergkette. Den Gipfel in der Mitte umweht zart eine einzelne Wolke, so als wollte sie darauf hinweisen, dass man hier den Piz Bernina vor sich hat, den einzigen Viertausender der Ostalpen. Sonst ist der Himmel absolut klar. Einer der Vollmondskifahrer lässt sich rückwärts in den Schnee fallen.

Ritsch-ratsch-ritsch-ratsch

Im Liegen zündet er sich eine Zigarette an und starrt auf den Gebirgszug und den Nachthimmel darüber. Keiner spricht. Alle sind gebannt von der Schönheit des Anblicks. Die Sterne sind von hier aus so viel klarer zu sehen als vom Tal aus. Zum Greifen nahe wirken sie hier oben. Irgendwann starten die Ersten zur Abfahrt. Eigentlich ist es stockdunkel, aber der Schnee reflektiert das Licht des Mondes, und die Konturen der Pistenoberfläche zeichnen sich dadurch scharf ab. Man sieht erstaunlich gut. Die Piste verläuft erst über einen schmalen Weg, dann macht sie eine 90-Grad-Kurve und wird breiter. Vor den Skifahrern liegt nun ein Hang, der sanft abfällt. Die Rillen, die die Pistenwalze in den Schnee gezeichnet hat, sind gut zu erkennen. Der Harsch knirscht unter den Skiern, viel lauter als am Tag - so wirkt es zumindest: Ritsch-ratsch-ritsch-ratsch. Bei jedem Schwung ist es so, als ob man kurz abhebt. Ist das die Anziehungskraft des Mondes? Dann taucht plötzlich und völlig unvermittelt etwas Schwarzes auf der Piste auf. Verdammt, was ist das? Zum Ausweichen ist es zu spät.

Der Zusammenprall scheint unausweichlich. Da löst sich das dunkle Hindernis ebenso plötzlich und unvermittelt in Luft auf. Es war nur der Schatten einer Felsnase, die ins Mondlicht ragte. Unten wartet schon die Gondel für die nächste Bergfahrt. In der Pause bis zur nächsten Abfahrt erzählt der Fahrer, was es mit den Stimmen auf sich hat, die man angeblich immer wieder am Gipfel hören kann. „Ach, das ist nur eine alte Sage.“ Der Mann, er ist so um die 50 und trägt einen Schnauzbart, lacht. „Früher soll es dort oben eine schöne Bergfee gegeben haben, der die Männer hinterhergestiegen sein sollen.“ Einer nach dem anderen sei verschwunden, so auch der Jüngling Aratsch. Der Sage nach hörten die Bewohner seines Dorfs, die den jungen Mann vergeblich am Berg suchten, eine Stimme im Wind, die rief: „Mort ais Aratsch“, Aratsch ist tot. Das sei die Stimme der Bergfee gewesen.

Die Einheimischen hätten dem Berg daraufhin den Namen „Diavolezza“ gegeben - Rätoromanisch für „Teufelin“. Die Geschichte passt zwar gut zu dieser unwirklichen Nacht auf dem Berg, aber an der Bergstation angekommen, sind keine schaurigen Stimmen zu hören, sondern nur der Geräuschpegel der Berggaststätte, in der Spezialitäten aus der Region gereicht werden. Viele Besucher sind nur wegen der kulinarischen Genüsse nach oben gefahren. Andere nutzen lieber die Zeit auf der Piste. Und die hat so mancher Vollmondskifahrer ganz für sich. Das Bergmassiv gegenüber sieht aus wie ein angeschnittener Christstollen: Wie dicker weißer Guss wirkt der Überzug aus Schnee und Eis im gleißenden Mondlicht. Der Atem kondensiert in der Luft und bildet vor dem tiefen Blau des Himmels weiße Wölkchen. All das wirkt für die Skifahrer nicht mehr irdisch, sondern sie fühlen sich wie die ersten Skifahrer auf dem Mond.

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Infos zu Oberengadin

Anreise
Nach Pontresina mit dem Auto über Ulm, Bregenz und Davos ins Oberengadin (Fahrtzeit ab Stuttgart knapp fünf Stunden). Mit der Bahn mit Umstieg in Zürich, Chur und Samedan (Fahrtzeit ca. sieben Stunden). Die Talstation der Diavolezza-Bergbahn liegt direkt an der Berninapass-Trasse.

Unterkunft
Im Berghaus Diavolezza kann man auf fast 3000 Meter Höhe mit Blick auf das Bernina-Massiv übernachten, DZ ab 200 Euro, CH-7504 Pontresina, Tel. 00 41 / (0)81 / 8 39 39 00, www.diavolezza.ch

Eine gute Unterkunft im Tal ist das Sporthotel Pontresina, Via Maistra 145, CH - 7504 Pontre sina, DZ ab 220 Euro, Tel. 00 41 / (0) 81 / 8 38 94 00 , www.sporthotel.ch

Essen und Trinken
Während des Vollmondskifahrens ist das Berghaus Diavolezza an der Bergstation der Seilbahn geöffnet. Hier gibt es Bündner Spezialitäten, Käsefondue (27 Euro pro Person) oder auch eine Gerstensuppe (11 Euro). Viele bleiben hier mit Blick auf das vollmondbeschienene Bernina-Massiv länger sitzen, als sie Ski fahren.

Vollmondskifahren
Die Termine sind in diesem Winter: 3. 1. 15, 31. 1. 15, 7. 3. 15, 4. 4. 15, Betrieb der Diavolezza-Bahn: 19.30- 23.15 Uhr (außer am 4. 4. 15: 20.00-23.45 Uhr). Tageskarten und Ski-Abos sind nicht gültig, Abendkarte: Preis pro erwachsenem Skifahrer 25 Euro, pro Einzelfahrt 15 Euro.

Allgemeine Informationen
Pontresina ist mit 2000 Einwohnern im Vergleich zu St. Moritz der beschaulichere und weniger glamouröse Ort im Oberengadin. Hier verbringt die Bundeskanzlerin regelmäßig ihren Winterurlaub. Bei Pontresina gibt es die beiden Skigebiete Diavolezza und Lagalb, deren Benutzung in den Mehrtageskarten der Region St. Moritz enthalten ist.

Hier ist es aber ruhiger und weniger voll als in St. Moritz, www.pontresina.ch, www.engadin.stmoritz.ch , Info-Telefon 0 08 00 / 100 200 29 (kostenlos)