Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Süd - Der Nieselregen pinselt einen Regenbogen in den Hinterhofhimmel. Unterdessen brennt draußen vor dem Haus die Sonne unerbittlich auf den Asphalt, das Quecksilber kriecht über die 40-Grad-Marke, der Stuttgarter Talkessel brodelt. Aber hintenrum herrscht ausgeglichenes Kontinentalklima, Schatten, schwache Brise, Gardena-Nieselregen. Also flink das kleine Behaglichkeits-Kit installiert: Tisch, Stuhl, Kaffee, Zeitung, Unterhaltungselektronik. Kissen. Sonnenschutz. Vielleicht doch noch einen Keks zum Kaffee. Irgendein Utensil fehlt immer zum perfekten Glück.

 

Nach einer Weile ist Bequemlichkeit hergestellt. Da hör’ ich es schon. Sie denken jetzt an den Laubbläser. Aber der hatte schon am Samstag seinen Auftritt, hat Bonbonpapierchen von der einen in die andere Ecke gepustet. Das Lärmmanagement übernehmen an diesem Sonntagmittag fünf kleine Jungs mit ihrem aufblasbaren Schwimmbassin. Niedlich nervtötend. Das Kriegsgebrüll, Planschen und Glucksen vor Glück hallt die Fassaden hinauf. Muss man aushalten, will man sich nicht als Ekel outen. Mein Nachbar vis à vis hat da weniger Scheu. Nach 35 Minuten tritt er auf seinen Balkon und beginnt zu bellen: „Lärm“, „Unverschämtheit“, „Mittagsruhe“. Dann, etwas milder: „Könnt ihr euch nicht in Zimmerlautstärke unterhalten?“

Ums Schwimmbecken ist es jetzt still geworden – „Zimmerlautstärke“. Was nicht lange vorhält. Noch einmal versucht es der Nachbarn mit Gepolter, dann geht er zum Gegenangriff über, wuchtet Boxen auf die Fensterbank und justiert ihren Schall Richtung Hof. So, jetzt zeigt er den Rotznasen mal, wo der Bartl den Most holt: Andrea Berg, das komplette Atlantis-Album. Und ich? Kann doch gar nichts dafür, dass nebenan die Kinder krakeelen. Ich bin hier bloß der Kollateralschaden. Wo gejodelt wird, da fallen Späne.

Längst schon hat die Sonne ihren Zenit überschritten, da kommen endlich Freunde und Helfer, mich von dem Bösen zu erlösen. Irgendein Anwohner hat die Uniformierten alarmiert. Auf ihr Wort erstirbt Andrea Bergs Stimme. Und erst jetzt vernimmt man darunter die verzweifelte akustische Gegenwehr eines weiteren Innenhofanrainers. Unter einer Patina aus Kratzen und Rauschen zwar, aber angetrieben von unverwüstlichem Lebensdurst schmettert Enrico Caruso sein „Bella figlia dell’ amore“ in den Hof. Nun, da der Schlagerfee der Garaus gemacht, leuchtet der Tenor wie ein junger Märzenbecher unterm schmutzigen Schnee hervor. Sollte sich nicht gerade der nächste akustische Anschlag in Vorbereitung befinden, darf ich den Rigoletto vielleicht auch noch bis zu Ende hören.