In der Folge der Finanzkrise verloren viele Isländer ihre riskant finanzierten Immobilien. Elin und Daniel haben ihr Haus noch – große Probleme haben sie dennoch.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Island - Um Island zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick in das Telefonbuch. Damit führen sich auch die Isländer selbst gerne vor Augen, wie vertraut und familiär man kurz unter dem Polarkreis lebt. Die Teilnehmer sind darin nach Vornamen sortiert gelistet. Der Herkunftsname dahinter gibt mit der Endung -dottir oder -son an, wessen Tochter oder Sohn man ist. Man kennt sich, man ist verwandt, man weiß, wo man hingehört – die Anredeform „Sie“ existiert nicht.

 

Hat diese Vertrautheit etwas mit der Bewältigung der Krise und auch ihrem Entstehen zu tun? Irgendwie schon, denn schließlich war es zu einem gewissen Anteil das Vergessen der eigenen Größe, welche das Land der Gletscher, Vulkane und Geysire vor zehn Jahren in die Krise und an den Rand des Staatsbankrotts gebracht hatte. Und es war das Rückbesinnen auf die eigenen Grenzen, das konsequente Abschotten, das harte „Nei takk!“ („Nein danke!“) an die EU, durch das sich Island aus dem Tief wieder herauszog. Die Banken wurden ohne Rücksicht auf ausländische Investoren abgewickelt, zugunsten des eigenen Volkes. Eurokritiker, die den Rückzug der Isländer als beispielhaft bezeichnen, übergehen gerne die Hilfen des Internationalen Währungsfonds, ohne die es kein gutes Ende genommen hätte mit dem Land. Nun soll noch das letzte verbleibende Kontrollinstrument fallen, das nach der Krise eingeführt wurde, die Kapitalverkehrskontrolle. Damit wird der freie Handel mit der isländischen Währung wieder möglich, einer der Hauptgründe der zu dem Kollaps im Herbst 2008 führte. Die Krone war seinerzeit extrem überbewertet.

Die Schulden wachsen der Familie über den Kopf

Die Zeit nach dem Herbst 2008 ist keine leichte Zeit gewesen, sagt Elin Finnbogadottir, die mit ihrem Mann Daniel Gudmundsson und dem Enkelsohn Jongunnar Jongeirsson in Selfoss im Süden Islands lebt. Sie ist Lehrerin, er arbeitet in einem der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes, in einer Fischereifirma. Sie haben ein Haus, und sie haben es behalten können. Tausende verloren damals ihr gnadenlos überschuldetes Heim in der Folge der Finanzkrise. Doch auch dem Paar sind die Schulden über den Kopf gewachsen.

Finanziert hatten sie den Hauskauf im Jahr 2005 für knapp 20 Millionen Kronen (rund 200 000 Euro). Nach der Krise ging der Kredit in die Höhe, mit staatlicher Hilfe konnten sie ihn auf zunächst 26 Millionen drücken, nach dem Bankenkollaps und dem Einsetzen der gewaltigen Inflation. Inzwischen steht der Hauskredit bei 32 Millionen Kronen (250 000 Euro). „Das hat etwas mit unserem Finanzierungsmodell zu tun – kein Wunder, dass du es nicht verstehst, bei uns versteht das auch niemand“, sagt die 52-Jährige. Der Kredit läuft beim Ibudalan Sjödur (ILS), dem staatlichen Wohnbaufinanzierungsfonds Islands. „Wir sind an die Inflation gebunden“, erläutert ein Mitarbeiter des ILS auf Nachfrage unserer Zeitung. „Wenn der Wert des Hauses aufgrund der Inflation steigt, steigt auch das Kreditvolumen – also auch die Summe, die zurückgezahlt werden muss“, sagt er. Was zunächst wie eine Falle klingt, sei von Vorteil, sagt der ILS-Sprecher: „Wir lassen den Leuten ihre Häuser, im Gegensatz zu den nicht staatlichen Kreditinstituten. Unsere Kunden müssen dann zwar länger zahlen, aber sie bleiben in ihrem Haus.“ Wer inflationsunabhängig finanzieren wolle, müsse wesentlich höhere Zinsen zahlen – um die sieben bis acht Prozent statt 4,2 beim ILS – und müsse wesentlich mehr Eigenkapital stellen. „Zur Wohnbauförderung haben wir ein Programm, in dem man bis zu 80 Prozent der Bausumme von uns bekommen kann“, sagt der Berater.

Elin gibt nicht auf: Weiterbildung für ein besseres Gehalt

Elin hat einen für eine Mutter von vier Kindern untypischen Wunsch: „Ich hoffe, dass die Schulden noch so hoch sind, dass das Haus an den Staat fällt, wenn wir mal nicht mehr da sind“, sagt sie. Sie geht die Sache anders an als andere Eltern, die ihren Kindern ein bestelltes Feld hinterlassen wollen. Der Grund: „Wir wollen, dass sie nicht die Schulden weiterhin abtragen müssen“, sagt die Lehrerin, denn das würde den vier Kindern dräuen. Dass der Schuldenberg in ihren Lebzeiten abzutragen sein wird, ist eher unwahrscheinlich, meint sie resigniert. Doch Elin wäre keine Isländerin, wenn sie aufgeben würde. Die Isländer sind ein stolzes Volk und ein willensstarkes. So hat sich Elin nun für eine Fortbildung angemeldet. „Ich muss mich weiterqualifizieren, damit ich mehr Geld verdiene“, sagt sie. Auch, weil der 13-jährige Enkel, der Sohn der ältesten Tochter, die in einer Entziehungsklinik ist, bei ihnen wohnt. „Ein Teenager kostet Geld“, sagt sie. Und fügt gesellschaftskritisch hinzu: „Unsere Politiker brüsten sich immer damit, dass bei uns Frauen gleichberechtigt sind, weil sie arbeiten.“ Bilder von stillenden Müttern im isländischen Parlament haben das weltweit medienwirksam bewiesen. „Aber es ist auch immer noch so, dass eine Frau auch bei uns mehr Qualifitkationen haben muss und mehr Leistung bringen muss, wenn sie das gleiche Geld haben will wie ein Mann.“ Deswegen geht es für sieben Monate zurück an die Uni, um dann künftig mehr verdienen zu können.

Dabei gehört die Familie von Elin und Daniel eigentlich zu den gut verdienenden in Island. Bevor Daniel krank wurde – seit einem Jahr ist er bereits außer Gefecht – brachte er 650 000 Kronen (5200 Euro) im Monat nach Hause. Elin verdient als Lehrerin 240 000 Kronen (1920 Euro).

Zwei erwachsene Töchter des Paares sehen bessere Chancen im Ausland

Elins Weiterbildung ist nicht die einzige Maßnahme, mit der die Familie gegen den Schuldenberg ankämpfen will. Das Haus mit acht Zimmern ist zu groß geworden. Sohn Daniel (25) studiert in der Hauptstadt Reykjavík, Tochter Rosa (22) ging nach Schweden, um Tierpflegerin zu werden, Tochter Hildur (30) sah für sich in Norwegen eine bessere Zukunft. Das Haus zu verkaufen sei schwierig. Aber vielleicht wollen Elin und Daniel es aufteilen, in zwei Wohneinheiten. „Wir brauchen den Platz nicht, und die Miete würde uns sehr helfen“, sagt sie. Dabei will sie nicht auf den Tourismuszug aufspringen. „Touristen kommen und gehen und wer weiß, wie lange der Boom anhält“, sagt die vorsichtige Planerin.

Nicht nur Vorsicht, auch Pessimismus klingt mit, wenn sie über das Konsumverhalten der Mitmenschen spricht. „Es geht schon wieder los“, sagt sie. „Wir haben nicht viel gelernt, offenbar. Alle kaufen wie verrückt – aber das Geld haben sie nicht. Fernseher, dickes Auto, neuestes Handy, nicht nur Häuser sind es, die auf Pump finanziert sind. Die Leute zeigen einen Lebensstil, den sie sich gar nicht leisten können“, analysiert die Lehrerin. „Die nächste Krise kommt, und sie kommt bald. Das wird alles in sich zusammenbrechen“, sagt sie.

Doch Elin sieht auch, wie sich das Land nach der Krise erholt hat. „Damals standen hier viele halb fertige Häuser, eine richtige Geisterstadt war Selfoss“, erzählt sie. „Es war unheimlich, als ob es nie weitergehen würde.“ Davon habe sich Island erholt: „Die Häuser sind fertig und bewohnt, die Nachfrage ist da“, beschreibt sie den Wandel.

Dass es den Isländern so gut geht, hat auch etwas mit dem Tourismusboom zu tun, den das Land erlebt. In diesem Jahr steuert der Zwergenstaat auf neue Mammutzahlen zu, mehr als zwei Millionen Reisende sollen 2017 zwischen Feuer und Eis unterwegs sein. Der Boom setzte nach dem Bankencrash ein – mit der Krise der Krone wurde das Reisen erschwinglich, Berge von Wollpullis gingen über die Verkaufstheke, die nach dem Wiedererstarken inzwischen gut und gerne 250 Euro kosten können.

Auch das sieht Elin skeptisch. „Das wird nicht lange anhalten. Wir sollten darauf nicht bauen“, mahnt sie. Doch noch will jeder sein Stückchen vom Kuchen abhaben, solange der Boom anhält. Elin und Daniel aus Selfoss sind mit ihrer vorsichtigen Haltung eher die Ausnahme in Island. Die Lust am Konsum überwiegt. „So sind sie, die Isländer“, sagt Elin ein wenig wehmütig.