Mit der Kräuterpädagogin Jessica Buschmeier-Gundel unterwegs im Brettachtal: Selbst im Spätsommer lassen sich noch grüne Schätze auftun.

Beimbach - So haben wir uns eine Kräuterhexe nicht vorgestellt: Jessica Buschmeier-Gundel ist blond, schlank, sportlich. Die 49-Jährige mustert ihr Gegenüber kurz, aber prüfend, und begrüßt die Besucherin dann mit einem zupackenden Händedruck, den man ihren schmalen Fingern nicht zugetraut hätte. Der Rucksack ist gepackt, der Havaneser-Rüde in der Box im Auto untergebracht, es geht los. Wir fahren von Beimbach bei Rot am See durch die Felder der Hohenloher Ebene dem Brettachtal (Kreis Schwäbisch Hall) zu. Links ein wunderbar wilder Acker, auf dem noch die letzten Sonnenblumen stehen, auch Kornblumen wuchsen dort und Borretsch, weiß Gundel, wie wir sie der Kürze halber nennen. Die wilden Äcker sind nämlich mit Blühmischungen eingesät. Dafür bekommen die Bauern etwas Geld aus dem Topf des Landes-Förderprogramms für Agarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl. Die bunte Pracht wird später gemulcht und untergepflügt. Das tut den Insekten gut, das tut dem Boden und den Menschen gut.

 

Die beste Jahreszeit ist natürlich das Frühjahr

Am Waldrand stellt die Kräuterfrau den Wagen ab, schultert den Rucksack und nimmt den kleinen Zottelhund Schröder an die Leine. „Unten stehen die Alpakas aus Weckelweiler“, erklärt sie die Vorsichtsmaßnahme. Dann marschieren wir los schräg zum Hang durch den Wald hinunter ins Brettachtal. Hin und wieder zeigt Gundel auf Reste von Waldmeister, Knoblauchrauke, Bärlauchblätter; wobei die beste Jahreszeit für eine Schatzsuche nach Wildkräutern natürlich das Frühjahr sei: „Dann kann ich es kaum erwarten, bis ich hier ernten kann“, sagt Gundel. „Aber wir finden schon was Gutes“, verspricht sie – und hält Wort.

Vorbei an den Alpakas führt ein schmaler Pfad am nunmehr lichten Waldrand entlang der Brettach. Später wird das munter über die Steine murmelnde Wasser des kleinen Bachs in die Jagst fließen. Indisches Springkraut streckt uns seine rosafarbenen Blüten entgegen. Es ist einer dieser gefürchteten Einwanderer, „Problem-Neophyt“ schimpfen ihn manche Biologen. „Die Blüten schmecken gut“, sagt Gundel jedoch, zupft einige schöne Exemplare ab und verstaut sie in einem Behälter. Und Problem-Neophyt? Auf das Springkraut zu schimpfen, sei ja schon fast rassistisch, empört sie sich: „Das bringt die Globalität eben mit sich.“ Stimmt, so kann man es auch betrachten.

Sie sei schon immer ein Draußenkind gewesen, erzählt Gundel. Geboren und aufgewachsen in Hohenlohe, lernte sie Schreinerin, brachte ihre beiden Söhne zur Welt und zog sie auf. Nach der Familienphase besann sie sich auf die ausgedehnten Jagsttalwanderungen ihrer Kindheit und ihre Neugier, was man aus den Früchten und Kräutern der Natur verwerten kann. „Ernten ohne zu säen, das hat mich fasziniert.“

Jessica Gundel ist Kräuter- und Waldpädagogin

Vielleicht war es auch ein Fingerzeig, dass sie den Namen ihres Mannes, des Gärtnermeisters Roland Gundel, annahm? Die Gundelrebe, auch Gundermann genannt, ist eine altbekannte Heilpflanze. Eine eineinhalbjährige Qualifizierung zur Kräuterpädagogin und eine Ausbildung zur Waldpädagogin legten den Grundstock für den zweiten Beruf. Heute stellt Jessica Gundel in ihrer Kräuterwerkstatt Sirups, Essige und Gelees her, bietet Kräuterführungen und Kräuterkochkurse an.

Wir stapfen den Pfad entlang und lernen, dass der hübsche Aronstab mit seiner roten Rispe giftig ist und dass wir aus den Früchten der Buchen, den Bucheckern, Mehl machen könnten. Aus Giersch, dem „Lieblingskraut der Kräuterpädagogen“, lassen sich Suppen, Salat und Smoothies zubereiten. An den Blütenständen der hoch gewachsenen Brennnesseln haben sich im Herbst winzige Körnchen gebildet, die fein nussig schmecken, aber auf den Lippen brennen. Gundel zeigt, wie es geht: Sie nimmt einen Stängel, reibt ihn sanft zwischen den Handflächen und entfernt so die feinen Härchen. „Wir brauchen keine Chia-Samen, wir haben unser eigenes Power-Food.“ Aufregen kann sie sich, wenn Leute sagen, die Wildkräuter seien umsonst. „Wildkräuter gibt es nur in einer intakten Natur“, sagt sie, „und die ist etwas Wertvolles, Seltenes, Kostbares.“

Die Vogelmiere steckt voller Kalzium und Vitamine

Unser Ziel ist eine große Waldwiese in der Talsohle, und wir wähnen uns angesichts des frischen Grüns plötzlich im Frühling. Etwa 15 Zentimeter hohe Pflanzen haben einen Teppich kräftiger Blättchen getrieben, die in winzigen weißen Blüten enden. Ernten ohne zu säen: Mit geübtem Griff zupft die Kräuterprädagogin einen dicken Strauß der Gewöhnlichen Vogelmiere (stellaria media), ihr Hund liegt neben ihr und schaut zu. „Eine gute Mulchpflanze und sie schützt den Boden vor Erosion“, sagt die Kräuterkundige und reicht einige Blätter weiter. Sie schmecken ein bisschen nach Maiskörnern. Damit erklärt sich auch der Name: Vögel, vor allem Hühner, fressen das Kraut gern. Und was da an Gesundem alles drin ist: Eisen, Kalium, Kalzium, die Vitamine A, B, C. Dann erzählt sie vom Märchen „Das wundersame Sternenkraut“, das von der heilsamen Wirkung der Vogelmiere handelt. Die Pflanze beschert einem rheumatischen Huhn neues Lebensglück: „Ein Wunderkraut, ein vom Himmel gefallenes Sternenkraut!“, jubelt es, von allen Gebrechen genesen.

Die gewöhnliche Vogelmiere ist eigentlich ein Unkraut. „Manche Leute haben ein Problem damit, dass das zu einfach ist“, sinniert Gundel, „aber Wertiges braucht keine Verpackung.“ Warum das Erleben der Natur mit Events aufhübschen? „Ich brauche keinen Baum zu umarmen, um mich wie ein Baum zu fühlen.“ Lieber führt sie Erwachsene und noch lieber Kinder an die Natur heran, lässt sie den Wald und seine Schätze entdecken. „Aber nicht 20 Pflanzen in einer Stunde, das merkt sich doch keiner“, besser eine Handvoll Kräuter, die auch haften blieben. „Ich empfehle auch nur Pflanzen, von denen es genug gibt.“ Seltenes wie Veilchen oder Echte Schlüsselblume kommt ihr nicht in die Werkstatt.

Später packt Jessica Buschmeier-Gundel für ein Picknick in einer Felsengrotte am Bach den Rucksack aus. Es gibt Vogelmierefrischkäse auf kräftigem Schwarzbrot, verziert mit Springkrautblüten, dazu Wasser mit Holunderblütensirup und zuletzt einen Kuchen, der mit dem kräftigen Grün der Vogelmiere marmoriert ist.