Im Birenbacher Gemeinderat haben die Frauen eine bequeme absolute Mehrheit. Im Baltmannsweiler Gremium haben sie hingegen gar nichts zu sagen. Es sind die Extreme in der Region.

Birenbach/Baltmannsweiler - Zwischen Birenbach und Baltmannsweiler liegen 20 Kilometer Luftlinie und der Höhenrücken des Schurwalds. Im Hinblick auf die Frauenemanzipation trennen die beiden Orte aber Welten. In Birenbach, einer 1500-Einwohner-Gemeinde an der Bundesstraße 295 bei Göppingen, katapultierte der Wähler(-innen)wille bei der Kommunalwahl im Jahr 2009 sechs Frauen in den Gemeinderat, die seither in dem zehnköpfigen Gremium über eine bequeme absolute Mehrheit verfügen. Die Frauenquote von 60 Prozent ist der Spitzenwert in der Region Stuttgart und sogar landesweiter Rekord. In Baltmannsweiler (Nomen est omen?) sind die Männer hingegen unter sich. Keine einzige Frau schaffte in dem 5600-Einwohner-Ort im Kreis Esslingen den Sprung in das Gemeindeparlament, obwohl 51 Prozent der Einwohner Frauen sind. In Birenbach sind es nur 50,4 Prozent.

 

Die Bürger haben es in der Hand

Warum das so ist? Der Mann auf dem Baltmannsweiler Rathausthron, der Bürgermeister Martin König, zuckt mit den Schultern. „Das muss man die Bürgerschaft fragen.“ Die habe es doch in der Hand gehabt. Allerdings könnte auch die Zersplitterung des örtlichen Parteienspektrums eine Rolle spielen. Sechs Listen konkurrierten um die 15 Plätze im Rat. „Da spielt dann oft der Zufall eine Rolle“, sagt Roland Fink, dessen Grüne mit drei Sitzen zu den großen Fraktionen des Gremiums gehören. Landesweit erreicht die Ökopartei mit einem Rätinnenanteil von 40 Prozent den höchsten Wert aller Parteien. In Baltmannsweiler sind es null Prozent.

„Der Gemeinderat ist ein eingefahrener Verein. Ich habe das Gefühl gehabt, dass ich da nicht reinpasse“, sagt die Grüne Ulrike Raff, die nach einer Wahlperiode im Jahr 2009 nicht wieder antrat. Mit ihr verzichtete eine weitere Rätin, eine dritte wurde nicht wiedergewählt. Dennoch hätte eigentlich eine Frau den Einzug geschafft. Sie musste jedoch passen, weil auch ihr Vater Dieter Roos – als Stimmenkönig – in den Gemeinderat gewählt wurde. Und in Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern dürfen wegen der Kungeleigefahr keine direkten Verwandten gleichzeitig vertreten sein. Der letzte Platz in der Region wäre Baltmannsweiler trotzdem sicher gewesen. Zwar gibt es landesweit noch 38 Gemeinderäte ohne Frauen. Sie liegen aber nicht in der Region Stuttgart, sondern in Oberschwaben und im Schwarzwald.

Männer brüten über die Kinderbetreuung

Also brüten nun 15 Männer in Baltmannsweiler über den Kindergartenbedarfsplan oder die Ansiedlung eines Supermarktes. „Da wäre es wünschenswert gewesen, wenn Frauen an der Diskussion teilgenommen hätten“, sagt Roos. Immerhin forderte keiner der Männer, statt eines Vollsortimenters einen Baumarkt anzusiedeln. Und auch bei der Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren haben die Herren die notwendigen Weichen gestellt. In diesem Jahr wird Baltmannsweiler eine Versorgungsquote von 48,9 Prozent erreichen und damit die Vorgabe des Landes von 35 Prozent locker erfüllen. „Die Kinderbetreuung ist für uns ein großes Thema“, versichert Bürgermeister König, wobei bei der jüngsten Ortsbesichtigung im Kindergarten eher die dichten Fenster als das pädagogische Konzept eine Rolle spielten.

Und in Birenbach? Im Endeffekt komme sein Frauen dominierter Gemeinderat nicht zu grundsätzlich anderen Ergebnissen, glaubt der Birenbacher Bürgermeister Frank Ansorge. Von ihrer Mehrheit hätten die Frauen nie Gebrauch gemacht. Allerdings sei der Weg, der zu Entscheidungen führe, oft ein anderer. Alle Rätinnen hätten Kinder. „Durch ihre Erfahrungen sind sie an entscheidenden Zukunftsfragen oft näher dran.“ So wird die gute Baltmannsweiler Betreuungsquote in Birenbach noch übertroffen: In diesem Jahr werden hier 55 Prozent aller Kleinkinder versorgt sein.

Der schöne Bürgermeister ist kein Grund

Vor allem aber unterscheide sich die Gesprächskultur. „Es wird sachlicher diskutiert“, sagt Ansorge. Diesen Verdacht hegt man auch in Baltmannsweiler. „Es geht bei uns schon sehr rustikal zu“, sagt der Grünen-Rat Fink. Als jüngst die Verkehrssituation am Kindergarten Thema gewesen sei, habe ein Gemeinderat über die jungen Mütter gelästert, die in ihren „Geländewagenpanzern“ vorfahren würden, erinnert sich die stellvertretende Hauptamtsleiterin Monika Mattes. „Als es noch Frauen im Gemeinderat gab, hätte der sich das wohl nicht getraut.“

Wie aber kam es zum Birenbacher Frauenwunder? Mit dem attraktiven Äußeren des damaligen Bürgermeisters (und heutigen Oberbürgermeisters von Eislingen), Klaus Heininger, wie böse Zungen munkelten, habe das bestimmt nichts zu tun gehabt, sagt die Freie-Wähler-Rätin Marga Ritz. Eher dürfte es an der Struktur der Wohngemeinde liegen. Viele Männer sind hier nur zum Schlafen, die Frauen sind jedoch auch tagsüber im Ort unterwegs. Das macht bekannt. So waren auf allen vier kandidierenden Listen die Frauen nicht nur ordentlich vertreten, ihre Namen wurden dann auch überdurchschnittlich oft angekreuzt.

Krabbelgruppe für Gemeinderatskinder?

Auch er habe im Jahr 2009 viele Frauen auf eine Kandidatur angesprochen, sagt der Baltmannsweiler Stimmenkönig Roos. Doch oft verhindere die Doppelbelastung durch Familie und Beruf das Engagement. Das kennt auch Marga Ritz. „Als ich drei kleine Kinder hatte, habe ich mit der Gemeinderatsarbeit ausgesetzt.“ Eine Krabbelgruppe für Gemeinderatskinder will sie dennoch nicht einrichten. Darüber würde man sich doch nur lustig machen. Derweil könnte sich in Baltmannsweiler das Parteienspektrum bei der nächsten Wahl noch weiter auffächern. Längst gibt es in der Gemeinde Überlegungen für eine eigene Frauenliste.

Das Land ist Schlusslicht

Nachholbedarf
Landesweit waren bei den Gemeinderatswahlen im Jahr 2009 rund 22 Prozent der Gewählten und 29 Prozent der Kandidaten weiblich. In keinem anderen Bundesland sind es weniger. Die grün-rote Landesregierung will das ändern. Nach einer Gesetzesvorlage sollen künftig „Männer und Frauen gleichermaßen bei der Aufstellung eines Wahlvorschlags berücksichtigt werden“.

Vorreiter
Alle großen Städte erreichen Quoten über der 30-Prozent-Marke. In Stuttgart sind 24 von 60 Stadträten weiblich. Das entspricht einer Frauenquote von 40 Prozent. Damit liegt die Landeshauptstadt hinter Tübingen (50 Prozent) und Karlsruhe (41,7), gleichauf mit Heidelberg und knapp vor Freiburg (39,6).