Ein Rathaus-Mitarbeiter soll eine Auszubildende sexuell belästigt haben. Jetzt ist er seinen Job los. Der Gemeinderat hat der von der Stadt vorgeschlagenen Kündigung zugestimmt – obwohl es keine Beweise gegen den Mann gibt.

Göppingen - So etwas hat es im Göppinger Gemeinderat noch nie gegeben: Am Donnerstagabend habe die Verwaltung in nichtöffentlicher Sitzung eine Tischvorlage präsentiert, mit der keiner gerechnet habe, berichten mehrere Stadträte unter der Hand. In dem Papier sei es um die „außerordentliche, fristlose Verdachtskündigung“ eines langjährigen städtischen Mitarbeiters gegangen. Mit anderen Worten: der Oberbürgermeister Guido Till wollte sich die Erlaubnis einholen, den Mann sofort zu entlassen. Die Stadt selbst will sich zu dem Vorgang nicht äußern, da es sich um eine Personalangelegenheit handle. Das Stadtoberhaupt habe erläutert, sagen Teilnehmer der Sitzung, dass der Mitarbeiter Anfang November eine Auszubildende der Stadt sexuell belästigt haben soll. Nach Aussage der jungen Frau habe er ihr an die Brüste und in den Schritt gefasst.

 

Es steht Aussage gegen Aussage

Einen Tag nach dem angeblichen Geschehen hat sich die junge Frau einem Vertrauensmann der Stadt Göppingen anvertraut. Der Beschuldigte streitet die Vorwürfe vehement ab. Bisher lag noch nie etwas gegen den Mann vor.

Nach seiner Schilderung habe er der Frau den Arm um die Hüfte gelegt, als es auf einer Baustelle gegolten habe, ein Hindernis zu überqueren. Anderntags habe er ihr über die Schulter gestrichen. Damit sei er ihr womöglich zu nahe gekommen, räumt er ein, sexuelle Absichten oder Berührungen an anderen Körperteilen aber streitet der Mann ab.

In der Sache steht also Aussage gegen Aussage. Vermutlich aus diesem Grund hat sich der Personalrat der Stadt nach Informationen der Stuttgarter Zeitung auch nicht darauf einigen können, der Verwaltung eine Kündigung zu empfehlen. Weil die Polizei bis jetzt nicht gegen ihn ermittelt, ist auch nicht auf baldige Klärung der Frage zu hoffen, was genau der Mann tatsächlich getan hat. Die Frau hat ihn bisher nicht angezeigt und hat das offenbar auch nicht vor. Dennoch habe Till dem Gemeinderat empfohlen, den Mann sofort zu entlassen. Schließlich sei man als Arbeitgeber verpflichtet, die Auszubildende zu schützen, soll der Rathauschef gesagt haben.

Der Fall geht vermutlich vor das Arbeitsgericht

Im Gemeinderat löste der Beschlussvorschlag eine heftige Debatte aus, wie es heißt, denn viele Stadträte befürchten, dass die Stadt mit der Kündigung vor dem Arbeitsgericht Schiffbruch erleiden wird, weil die Vorwürfe gegen den Mann in keiner Weise bewiesen sind. Einen Aufhebungsvertrag hat dieser bereits abgelehnt. Die Verwaltung geht deswegen davon aus, dass er gegen die Kündigung klagen wird.

Manche Stadträte hätten es lieber gesehen, die Verwaltung hätte den Mann selbst angezeigt, ihn dann vom Dienst freigestellt und zunächst das Ergebnis der Ermittlung abgewartet. Hätte sich der Verdacht erhärtet oder hätte ihn sogar ein Gericht für schuldig befunden, hätte man ihn immer noch entlassen können, sagten sie. Andere Stadträte argumentierten indes, die Vorwürfe seien so schwerwiegend, dass man nicht einfach habe abwarten können. So stimmte am Ende trotz der Zweifel eine Mehrheit von 19 Räten dem Ansinnen der Verwaltung zu. Zehn Stadträte enthielten sich, zwei stimmten mit „Nein“.

Kommentar: Vorschnelles Urteil

Unfair - Man darf niemanden bestrafen, dessen Schuld nicht bewiesen ist. Punktum! Statt diesen wichtigen Rechtsgrundsatz einzuhalten, ist die Göppinger Stadtverwaltung nach den Vorwürfen einer Auszubildenden gegen einen Mitarbeiter in Aktionismus verfallen und hat den Mann – mit der Zustimmung des Gemeinderats – fristlos gekündigt. Damit hat die Stadt selbst Unrecht begangen.

Der Mann soll eine junge Frau sexuell belästigt haben. Die Kündigung untermauert den Vorwurf und bestraft ihn, ohne dass es einen Beweis oder wenigstens eine Anzeige und Ermittlungen gibt. Doch eine solche Kündigung wird wohl vor einem Arbeitsgericht nur schwer Bestand haben. Der gute Ruf des Mannes aber ist ruiniert. Ob zu Recht oder Unrecht, weiß niemand.