Ein 46-Jähriger, der zwei minderjährige Stieftöchter sexuell missbraucht hat, wird vom Stuttgarter Landgericht zu drei Jahren Haft verurteilt. Bis zur Verbüßung der Strafe bleibt der Haftbefehl außer Vollzug. Der Mann hat echte Reue gezeigt.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Stuttgart - Die dritte Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts fand die Forderung der Staatsanwaltschaft nicht nur maßvoll, sie schloss sich dem Strafmaß schließlich auch an: Drei Jahre Haft verhängte sie gegen einen 46-jährigen Mann aus dem Remstal, der seine beiden Stieftöchter mehr als 100 Mal sexuell missbraucht hat. Zwar wurde das Verfahren in einem großen Teil der Fälle eingestellt, da sie kaum nachweisbar waren, doch blieben 68 übrig, von denen zwei so gravierend waren, dass sie mit Einzelstrafen von einem Jahr sanktioniert wurden. Diese Strafen werden nach einem gesetzlich vorgeschriebenen Schlüssel zusammengezogen, sodass die dreijährige Haftstrafe herauskam.

 

Die Aussicht auf einen offenen Vollzug ist groß

Eine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe sei nicht möglich gewesen, erklärte der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen in seiner Urteilsbegründung. Die Verteidigerin des schmächtig wirkenden Mannes hatte eine Bewährungsstrafe gefordert – also nicht mehr als zwei Jahre Haft. „Auf diese Weise kann er sich wieder eine Arbeit suchen und für den Unterhalt der Familie sorgen. So würde deren Situation nicht noch mehr verschlimmert“, hatte die Rechtsanwältin argumentiert. Der Mechaniker habe durch seinen Verdienst die Familie ernährt, zu der neben den Stieftöchtern noch weitere, gemeinsame Kinder zählen. Sollte eine Bewährungsstrafe nicht in Frage kommen, so die Verteidigerin, appellierte sie an die Richter, in das schriftliche Urteil eine Empfehlung für den offenen Vollzug aufzunehmen.

Dieser Lösung ist die Strafkammer denn auch gefolgt. Zwar muss der 46-Jährige in Haft, bis dahin bleibt er jedoch auf freiem Fuß, da der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben wurde. „Nutzen Sie die Zeit, um sich ein neues Leben aufzubauen und eine Anstellung zu finden“, sagte der Vorsitzende Richter zu dem Angeklagten. In nächster Zeit werde er dann die Aufforderung zum Haftantritt erhalten. „Treten Sie diese auf jeden Fall freiwillig an. Dann werden Sie in relativ absehbarer Zeit in den offenen Vollzug kommen. Wenn Sie der Aufforderung nicht Folge leisten, können Sie das alles vergessen“, betonte der Richter.

Das Vertrauen der Stieftöchter schändlich missbraucht

Die Strafkammer habe den Antrag der Staatsanwaltschaft, drei Jahre Haft zu verhängen, als sehr maßvoll angesehen. „Und wir wollten auch nicht päpstlicher als der Papst sein“, sagte Holzhausen, weshalb die Kammer kein schärferes Urteil gefällt hatte. Dazu bewogen habe sie das Verhalten des Angeklagten vor Gericht. Nicht nur, dass er in nichtöffentlicher Sitzung ein umfassendes und vor allem von echter Reue geprägtes Geständnis abgelegt habe. „Er hat auch zugelassen dass wir hier die Videoaufzeichnungen der Aussagen der beiden Mädchen zeigen konnten. Das geht nur mit Zustimmung des Angeklagten. Damit hat er ihnen erspart, hier aussagen zu müssen.“

Die Taten des 46-Jährigen, der bis dahin nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war, sind gravierend. Die beiden Mädchen, heute zwölf und 16 Jahre alt, leiden massiv unter den sexuellen Übergriffen des Stiefvaters. Ihr leiblicher Vater war gestorben, der Angeklagte habe das Vertrauen der bis dahin sehr behütet aufgewachsenen Kinder gehabt und missbraucht. Diese schwiegen über Jahre hinweg, was ein typisches Verhalten sei, so der Vorsitzende Richter. Da es im Badezimmer zu Übergriffen gekommen war, weigern sich die Mädchen bis heute, dort zu duschen. Komme in der Schule das Thema Sexualität ins Gespräch, zeigten sie regelrechte Panikreaktionen. „Ein ungestörter sexueller Reifungsprozess, auf den jeder ein Menschenrecht hat, ist ihnen genommen worden“, beschrieb der Vorsitzende Richter deren Situation.

Die betroffenen Mädchen schwiegen lange Zeit

Die Übergriffe hatten sich in den Jahren 2012 bis 2014 zugetragen. Erst vor wenigen Monaten offenbarten sich die Mädchen. Der 46-Jährige kam in Untersuchungshaft, da Fluchtgefahr angenommen wurde, allerdings nicht im Sinne eines Weglaufens. Es gebe Wege, sich anderweitig dem Verfahren zu entziehen, so der Richter – und zwar den, sich etwas anzutun. „Dieser Grund entfällt für uns nun. Deshalb haben wir den Vollzug des Haftbefehls ausgesetzt“, so der Vorsitzende Richter, der den Beteiligten und Zuhörern des Prozesses die Situation des Mannes über die zeitlich überschaubare Haft hinaus vor Augen führte: „Seine Familie hat er für immer verloren.“