Im Berliner Hebbel am Ufer, dem Dorado der freien Szene, stellt das Künstlerkollektiv She She Pop sein „Frühlingsopfer“ vor. Im Herbst gastiert das Stück auch im Stuttgarter Schauspiel.

Berlin - Berlin ist eine Stadt, in der Leute ihr Leben damit verbringen, irgendwelche Kunst zu machen, die nur sie und ein paar Freunde verstehen. Auf Martin Clausen „und Kollegen“ trifft diese Behauptung uneingeschränkt zu, auf She She Pop − auch sie altgediente, vor vielen Jahren zugezogene Szene-Gewächse – nur bedingt. Beide Kollektive haben jetzt im Berliner Hebbel am Ufer ihre neuesten Projekte vorgestellt. Doch immer schön der Reihe nach.

 

She She Pop geht die Zwischenmenschlichkeit konkret an, indem sie sich selbst und die eigenen Eltern zum Thema machen. Nachdem sie mit ihrem zum Theatertreffen eingeladenen Erfolg „Testament“ die Väter auf die Bühne holten und, Shakespeares „Lear“ als Inspirationsquelle nehmend, Generationskonflikte und Erbschaftsüberlegungen zu bewältigen versuchten, legen sie nun vier Jahre später mit ihren Müttern nach. Das Stück heißt „Frühlingsopfer“ und wird, weil die Gruppe mit dem Stuttgarter Schauspiel von Armin Petras kooperiert, im Herbst auch im Schwabenland zu sehen sein.

„Frühlingsopfer“: dem Stück liegt das gleichnamige Ballett von Igor Strawinsky zugrunde und die Frage, worauf Frauen im Frühling ihres Lebens verzichtet haben, um Mutter zu sein. Karriere, Kunst und Selbstverwirklichung haben sie dran gegeben – und wie bei jeder guten Therapie werden die Zweifel am Projekt und am Gegenüber mitreflektiert. „Ich habe Schwierigkeiten mit dem Begriff Opfer“, sagt eine Mutter, „das trennt mich so von meinen Kindern.“ In der Tat treibt dieses Wort einen Keil in die Mutter-Kind-Beziehung und weckt ungute Schuldgefühle. Aber wie ein Keil wirkt auch die vermutlich aus reisepraktischen Erwägungen geborene, dann aber symbolisch aufgeladene Grundidee der Inszenierung: Weil es sicher nicht immer zumutbar war, die vielen „Testament“-Tourneetermine mit den Vätern im Gepäck zu bestreiten, kommen die Mütter nämlich gar nicht selbst vor, sondern erscheinen lediglich als vorproduzierte Videozuspielungen auf einer viergeteilten Leinwand.

Die Gesichter überlagern einander

So bekommt man es zwar mit dem theaterfeindlichen Gefühl zu tun, der Abspulung eines durchchoreografierten Fertigprodukts beizuwohnen und keiner sich im Augenblick entladenden Auseinandersetzung wie bei den Vätern. Andererseits gibt es doch überzeugende, live produzierte Überblendungstricks, bei denen sich zum Beispiel die Gesichter der Kinder mit denen der Mütter überlagern und Alterungsprozesse in Sekundenbruchteilen zupacken. Seltsam existenzielle Schreckmomente, aber spätestens beim Premierenapplaus, als die Mütter leibhaftig im Blumenregen stehen, ist die Welt wieder heil. Ach ja, zumindest eine der Mütter des „Frühlingsopfers“ kommt aus Stuttgart: Weil ihr Sohn Sebastian bei She She Pop mitspielt, tritt auch Cornelia Bark auf – so wie schon vor Jahren beim „Testament“ Joachim Bark, der emeritierte Stuttgarter Literaturwissenschaftler.

Martin Clausens neue Arbeit mit dem Titel „Gespräch haben. Ohne Worte“ stellt ein paar Zwischenergebnisse seines Langzeitprojekts vor, das man auch „Der Mensch, ein Rätsel“ nennen könnte − ein lose durchkomponiertes Nummernprogramm, worin er noch immer wie ein desorientiertes Kaninchen seine ansatzlosen Haken schlägt. Und sein dunkel funkelnder Blick verrät unterm Wuschelhaar ungebrochen das tapfere Künstlerhirn, das von bedenkenswerten Weltkniffligkeiten ganz knapp überbeansprucht ist.

Verdächtig unechtes Licht

Zusammen mit den glanzvoll begriffsstutzigen Helden Rahel Savoldelli und Peter Trabner checkt Clausen mit rein technischer Besessenheit ein paar Formen zwischenmenschlicher Kontaktaufnahme − und zwar solche, die noch nicht oder nicht mehr beeinträchtigt sind vom gegenseitigen Verstehen. Hübsche Übungen des Ineinander-Kriechens, Aufeinander-Stapelns und Aneinander-Abrutschens gibt es zu erleben, während Musiker all diese Verrichtungen live und kongenial mit Quetsch- und Drosselmelodien aus den Harmonien begleiten – mit dem Ergebnis, dass unsere Zwischenmenschlichkeit letztlich in einem verdächtig unechten Licht erscheint. Aber dafür, dass sie unecht ist, macht sie doch ganz schön viel Mühe. Siehe She She Pop.