Das Warenhaus ist nicht tot. Aber es muss sich ändern, um zu überleben. Sein Fressfeind ist das Shoppingcenter. Kann es sein, dass die großen Einkaufszentren irgendwann das Schicksal der großen Kaufhauspaläste teilen?, fragt der StZ-Autor Helmut Frei.

Stuttgart - Das Warenhaus ist ein Kind der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. In Paris wurden die großen Einkaufspassagen, die während der Restauration dort entstanden waren, nach der Jahrhundertmitte von den ersten Warenhäusern abgelöst. Ihre Gründer handelten nicht viel anders als die Investoren der Shoppingcenter heute. Auch deshalb lohnt die Lektüre von Emil Zolas berühmtem Warenhausroman „Paradies der Damen“.

 

Zola erzählt die Geschichte des armen Waisenkindes Denise. Sie kommt aus der Provinz nach Paris und erlebt dort, wie der Warenhaus-Tycoon Octave Mouret, den sie liebt, die Existenzgrundlage der benachbarten kleinen Einzelhändler zerstört und nicht einmal ihren Onkel verschont. Der Roman, für den er ausgiebig in Pariser Warenhäusern recherchierte, erschien zwischen 1882 und 1883 zuerst als Fortsetzungsroman in einer Pariser Zeitschrift.

Ein bisschen Luxus für den kleinen Mann

Bald begeisterte sich ganz Europa für das Modell Warenhaus. Das breite Sortiment, das bei den großen Warenhauspalästen von der Stecknadel bis zum Elefanten reichen konnte, galt als sensationell. Barzahlung statt Anschreibenlassen, die Möglichkeit des Ratenkaufs, Sonderaktionen und beispiellose Werbekampagnen trugen zum schnellen Wachstum dieser Branche des Einzelhandels bei. In Deutschland gab es Luxuswarenhäuser wie Wertheim, aber auch das „Volkswarenhaus“ Tietz am Alexanderplatz in Berlin. Bis die Nazis die jüdischen Eigner von Tietz verjagten und enteigneten, verkörperte das Unternehmen in Deutschland wie kein zweites die „Demokratisierung des Konsums“.

Tietz wollte, dass sich auch Leute ohne dicken Geldbeutel Südfrüchte und schönes Geschirr leisten konnten, Staubsauger und modische Kleidung, Radios und Grammofone, für die Tietz auch Schallplatten der eigenen Hausmarke führte. Der Berliner Volksmund brachte es auf den Punkt: „Jehn se baden, jehn se baden mit Jefühl,/Ohne Badehose is das Wasser kühl./Doch bei Tietz am Alexanderplatz/Jibt es Badehosen mit ’nem Pelzbesatz.“

In Europa stehen die Warenhäuser gut da

„Alles, was groß und behäbig ist, ist in der Vergangenheit ausgestorben“, sagt Stephan Jung vom Branchenverband German Council of Shopping Centers. Er denkt dabei an Dinosaurier und meint Warenhäuser. Aber könnte nicht auch seine eigene Branche, die in vielen Städten die Warenhäuser ablöst, eines Tages ihrem Gigantismus erliegen? „Heute kommt es nicht mehr so sehr auf Größe an, sondern auf Schnelligkeit und Effizienz“, sagt Jung. Er ist überzeugt, dass Shoppingcenter diese Voraussetzungen erfüllen, und tatsächlich werden ja in Deutschland immer neue „Malls“, „Passagen“, „Arkaden“, „Galerien“ eröffnet. Für Warenhäuser dagegen scheinen die Aussichten schlecht. Die beiden Konzerne Karstadt und Kaufhof beherrschen die Szene, und bei Karstadt, kürzlich erst abgestoßen vom Investor Berggruen, hat in den letzten Jahren schon mehrfach das Sterbeglöcklein geläutet.

Einige deutsche Familienunternehmen jedoch sind nach wie vor erfolgreich, und in Europa ist die Zeit der Warenhäuser noch lange nicht zu Ende. In Frankreich versuche sich die Galeries Lafayette, Printemps und Au Bon Marché zu behaupten, in Großbritannien Selfridges und Harrod’s, nicht zu vergessen Bjkenkorf und Vroom & Dreesman in den Niederlanden, El Corte Inglés in Spanien, Nordiska Companiet in Schweden, Magasin du Nord und Illum in Dänemark, Manor, Globus und Jelmoli in der Schweiz, Rinascente in Italien – um nur einige klangvolle Namen zu nennen. Der Karstadt-Konzern, zu dem lange auch der Versandhändler Quelle gehörte, hatte allerdings den Anspruch, die Nummer eins in Europa zu sein. Die Wirkung kapitaler Managementfehler und eines gefährlichen Realitätsverlusts auf Seiten der Unternehmensspitze summierte sich mit den Folgen tiefgreifender Umwälzungen im Einzelhandel, Stichwort Online-Handel. Sicher sind auch die Shoppingcenter eine Herausforderung, zumal sie sich mehr und mehr in den Innenstädten festsetzen – auf dem angestammten Feld der Warenhäuser.

Von 0 auf 100 000 Quadratmeter in kaum zehn Jahren

Beispiel Stuttgart: 2006 eröffneten am Schlossplatz die Königsbau-Passagen. In den neuen Einkaufszentren Gerber und Milaneo kommen in wenigen Wochen weitere riesige Verkaufsflächen an beiden Enden der Innenstadt dazu. Mit der für 2016 geplanten Eröffnung des Dorotheenquartiers, das die Firma Breuninger – die sich lieber als „Fashion- und Lifestyleunternehmen“ denn als Warenhaus sieht – derzeit im Herzen Stuttgarts bauen lässt, wird die Verkaufsfläche der Shoppingcenter in der Stuttgarter Innenstadt im Laufe eines Jahrzehnts von null auf knapp 100 000 Quadratmeter hochschnellen.

Für zusammen rund zwei Drittel davon, etwas mehr als 65 000 Quadratmeter in den Königsbau-Passagen und dem Milaneo, zeichnet der Hamburger Immobilienkonzern ECE verantwortlich. Er bietet damit allein im Zentrum der Landeshauptstadt mehr Verkaufsfläche als Deutschlands größtes Warenhaus, das zu Karstadt gehörende KaDeWe in Berlin mit 64 000 Quadratmetern. ECE profitierte von der Goldgräberstimmung, die in der Szene der deutschen Shoppingcenter nach der Wiedervereinigung herrschte. 1995 gab es 197 Zentren, mittlerweile, keine 20 Jahre später, sind es 460. Berücksichtigt man auch Outlet-Center und große Bahnhofspassagen mit vielen Läden wie in Leipzig oder Köln, kommt man sogar auf 545, Tendenz weiter steigend.

Denn sie wissen nicht, was sie anbieten sollen

Die Entwicklung der Warenhäuser lief genau in die entgegengesetzte Richtung. Das Warenhaussterben hatte schon begonnen, als Kaufhof vor zwei Jahrzehnten die Warenhäuser von Horten übernahm und Karstadt das Konkurrenz-Unternehmen Hertie schluckte. 1993, im Jahr vor diesen Fusionen, konnten die vier großen deutschen Warenhausunternehmen noch mit 375 Filialen auftrumpfen. Übrig geblieben sind Kaufhof und Karstadt, und die Zahl ihrer Filialen ist auf 190 gefallen – Tendenz weiter sinkend, sagt Gerd Hessert von der Universität Leipzig. Er ist davon überzeugt, „dass wir uns irgendwo bei 50 bis 70 Warenhäusern einpendeln werden“. Aber selbst in Großstädten wie Nürnberg oder Stuttgart oder Düsseldorf werde es keine drei oder vier Warenhäuser mehr geben, sondern nur noch ein Warenhaus.

Die Antwort auf die Frage, warum ein Warenhaus an einem Standort läuft und am anderen nicht, lässt sich meist auf ein grundsätzliches Dilemma zurückführen. Die Konsumenten wissen nicht, wofür ein Warenhaus steht – und die Warenhausbosse wissen es auch nicht. Auf jeden Fall ist die Arbeit der Verkäuferinnen und Verkäufer eine besondere Herausforderung. Seit je beruht das Geschäftsmodell des Warenhauses darauf, dass sich Passanten in den Etagen umschauen können, ohne sich zum Kaufen gedrängt zu fühlen. Andererseits waren schon die Pioniere der Branche sehr erfinderisch, damit aus der Laufkundschaft Kaufkundschaft wurde.

Worauf ein Warenhaus besser verzichtet

„Wenn die Leute nicht bedient werden möchten, dann geht man weg – und man ist da, wenn man gebraucht wird“, sagt Helga Bollmoor. Die Leiterin der Strumpfabteilung arbeitet seit 1967 bei Sämann in Mühlacker. Das familiengeführte Warenhaus muss sich gegen Shoppingcenter und andere Magneten des Einzelhandels vor allem im Großraum Stuttgart behaupten. Brigitte Sämann, die das Modebewusstsein des Unternehmens verkörpert, hat dafür gesorgt, dass bei Kinderbekleidung Fachgeschäftsniveau erreicht wurde. Und die einst biedere Abteilung für Damenwäsche verwandelten sie und ihre Mitarbeiterinnen in eine Lingerie-Abteilung, die einen Hauch Pariser Eleganz in das württembergische Provinzstädtchen im Enzkreis bringt. Andererseits hat sich Sämann in Mühlacker von manchen Artikelgruppen verabschiedet. Das Restaurant mit seinen günstigen Tagesessen wurde jedoch nicht wegrationalisiert. Und die Änderungsschneiderei ist kleiner als früher, hat aber überlebt.

Fest steht jedoch: der alte Kaufhof-Slogan, man biete „tausendfach alles unter einem Dach“ zieht nicht mehr. Denn das bedeutet auch, von allem einiges, aber doch zu wenig anzubieten. So ist verständlich, dass sich die Karstadt-Warenhäuser von Multimedia verabschiedeten, denn Fachmärkte und das immense und noch wachsende Online-Angebot sind in diesem Segment allemal überzeugender. Der Einwand, Karstadt hätte diese Abteilung behalten müssen, damit junge Leute ins Warenhaus gehen und sich dann dort auch einkleiden, verkennt die Situation. Die Jungen ziehen Filialisten wie H&M vor, und sie strömen demnächst auch in Stuttgart zu Primark, der irisch-britischen Einzelhandelskette. Sie trumpft mit Billigklamotten auf, als hätte es nie eine Diskussion über fairen Handel und lebensgefährliche Fabriken in Fernost gegeben. Wie die Elektronikkaufhäuser Saturn und Media Markt hat sich auch der Textildiscounter Primark zu einem umworbenen „Ankermieter“ in Einkaufszentren entwickelt.

...bringt der Mittelweg den Tod

Während die berühmten Tempel der Kauflust in Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Japan die obere Mittelklasse und die Oberschicht anpeilen, orientieren Warenhäuser in Deutschland sich am Massengeschmack. Möglicherweise hängt die traditionell starke Fokussierung der deutschen Warenhäuser auf die Mitte der Gesellschaft mit den jüdischen Familien zusammen, mit Wertheim, den Tietzens als den Gründervätern von Hertie und Kaufhof, mit Schocken und anderen, die hierzulande Warenhausunternehmen gründeten und Anerkennung in der bürgerlichen Mitte suchten. Aber was bedeutet Mitte im Einzelhandel? Weder teuer noch billig, nicht extravagant, sondern durchschnittlich, Mittelmaß eben. Die Sortimente sind weder jung noch alt, aber oft erschreckend altbacken. Warenhausstrategen unterstellen, die Mitte sei breit; in Wirklichkeit ist sie eng und wird immer enger. „Die Mitte ist eigentlich im Moment der gefährdete Bereich“, sagt Michael Gerling vom Forschungsinstitut EHI des deutschen Einzelhandels. „Wenn wir gucken, was am Markt geht, dann sehen wir, dass absolut preisaggressive Konzepte wunderbar funktionieren. Und wir sehen, dass Premium-Konzepte gut funktionieren – üppig, ganz hochwertig. Auch die Shoppingcenter versuchen nun schon, sich eher in einem höheren Bereich zu positionieren, und damit fahren sie gut.“

Gibt es schon jetzt zu viele Einkaufszentren?

Zum Beispiel die Höfe am Brühl in Leipzig. Andrea Schuffenhauer arbeitet an der Besucherinformation und bekennt, es sei „ein wunderschönes Gefühl, jeden Tag die Gäste zu empfangen“. Nicht „Kundschaft“ sagt sie, sondern „Gäste“. Die ganze Philosophie der Höfe zielt darauf, auch den Durchschnittskunden zu suggerieren, sie seien tatsächlich Könige und Prinzessinnen. 2012 wurden die Höfe am Brühl eröffnet. „Drei Verkaufsebenen, um die 750 Mitarbeiter im Center, wenn alle unter Flagge stehen, eine Handelsfläche von 44 000 Quadratmetern, 120 Mieterkonzepte“, schwärmt der Centermanager Rainer Borst. Mit „Mieterkonzepten“ meint er Mietverträge, die es ermöglichen, Shops kurzerhand rauszuwerfen und durch andere zu ersetzen. Für die Besucher gibt es „Deckchairs“ zum Ausruhen, Musikberieselung, eine Wasserwand, die in erholsam-meditative Stimmung versetzen soll, an jeder Ecke ein Café oder Restaurant. Anfangs habe jeder Besucher im Durchschnitt zweieinhalb Stunden pro Woche in dem neuen Shoppingcenter verbracht, so der Centermanager. Zweieinhalb Stunden – mehr Zeit, als viele Väter mit ihren Kindern in der ganzen Woche zusammen sind. Wenige Gehminuten von den Höfen am Brühl haben die Promenaden im Leipziger Hauptbahnhof – über zwei Stockwerke ein Laden am anderen – aus dem stolzen Gebäude ein „Warenhaus mit Gleisanschluss“ gemacht. Eine S-Bahn-Station weiter im Stadtzentrum sind Karstadt und Kaufhof mit zwei neuen Warenhäusern vertreten – alles  auf engstem Stadtraum. Kann das gut-gehen, in Leipzig und anderswo? Und: Folgen die innerstädtischen Einkaufszentren auch in diesem Sinne den Warenhäusern?

Das Beispiel Innsbruck

Leider ja. Schon heute stünden in Nordamerika an die 450 Shoppingcenter leer, sagt Franz Pesch, Professor am Institut für Städtebau der Uni Stuttgart. Schon droht auch innerstädtischen Einkaufszentren in Deutschland ein ähnliches Schicksal wie den Warenhäusern; dass es zu viele Objekte gibt, die zu eng beieinanderliegen und einander kannibalisieren, und dass diejenigen, die während des Booms aus dem Boden gestampft wurden, schließen.Diese Gefahr besteht in Innsbruck derzeit nicht. Dort wurde 2010 das Shoppingcenter Kaufhaus Tyrol eröffnet. Den Namen übernahm es von einem Warenhaus, das an derselben Stelle stand und abgerissen wurde. Entworfen hat das neue Einkaufszentrum der namhafte britische Architekt David Chipperfield. Es überrascht mit einer geschwungenen und gut in die Häuserzeile an der Maria-Theresien-Straße, der Shoppingmeile Innsbrucks, eingebundenen Fassade. Das Kaufhaus Tyrol gehört zum Imperium des Investors und Immobilienhändlers René Benko, der aus Innsbruck stammt. Er hat nach den Topkaufhäusern KaDeWe in Berlin, Alsterhaus in Hamburg und Oberpollinger in München vor wenigen Wochen auch alle anderen Karstadt-Filialen übernommen.

Mit dem Innsbrucker Neubau demonstriert Benko, was er beispielsweise mit Karstadt in Stuttgart vorhaben könnte. Das Kaufhaus Tyrol ist ein Einkaufszentrum, das im Stile eines Warenhauses in die Höhe geht, anstatt Stadtraum zu fressen wie ein Shoppingcenter. Franz Pesch ist begeistert: „Das Kaufhaus Tyrol ist eine nach oben geschraubte Mall.“ Sie öffne sich zum Stadtraum. Die meisten Shoppingcenter dagegen sind oft Fremdkörper in der Stadt, nichts als effiziente Maschinen der Konsumentenführung und -verführung. Vielleicht liegt die Zukunft, zumindest ästhetisch, am Ende doch in der alten Warenhausherrlichkeit.