So etwas gibt es. Und das kann uns hierzulande doch nicht ganz fremd sein. Denn so ist es in den dreißiger Jahren in Deutschland geschehen. So haben es Mursi und seine Muslimbrüder vorgeführt. Es ist mir völlig unverständlich, dass unsere Westfreunde mitsamt unserem wild entschlossenen Außenminister in Ägypten nun abermals die demokratische Uhr auf Anfang stellen und auf ein Wunder der Versöhnung und der Kompromissfreudigkeit setzen wollen. Das würde nicht gut gehen. Es kann doch gar nichts anderes dabei herauskommen als beim gescheiterten Versuch Mursi. Sollte also Guido, der Missionar westlicher Werte, das nicht erkennen? Sollte Barack Obama darüber im Unklaren sein? Weiß der amerikanische Präsident etwa nicht, dass er aus strategischen Gründen weiterhin mit der ägyptischen Armee geschirren muss? Sollte unserer Kanzlerin entgangen sein, dass wir die westliche Position schwächen, wenn wir Hilfen an die Leute einstellen, die in Ägypten schon immer wenigstens für ein Mindestmaß an Verlässlichkeit gesorgt haben? Natürlich wissen alle Bescheid. Warum aber reden sie anders als sie handeln?

 

Sie glauben, sie müssten wenigstens nach außen hin die sogenannten westlichen Werte hochhalten. Sie müssten also ein brutales Militärregime und seinen Putsch wenigstens in Proklamationen und symbolischen Aktionen verdammen, obwohl sie wissen, dass die Macht der Militärs unter dem Gesichtspunkt westlicher Interessen das kleinere Übel ist. Sie glauben, sie müssten die formale Demokratie verteidigen, weil das politisch korrekt ist, weil es zu Hause von der öffentlichen Meinung verlangt und von den Bürgern verstanden wird. Ganz abgesehen davon sind wir aber auch stolz auf unsere Staatsform, die ja tatsächlich eine wunderbare Sache ist – nur eben vorerst nicht überall praktizierbar. Als Exportartikel ist sie selten geeignet. Hat man es nicht im Irak und in Afghanistan schmerzlichst erfahren und erlitten?

Insofern wäre es ehrlich, wir würden die ganze geheuchelte Empörung aufgeben und eingestehen, dass der westliche Einfluss auf die Vorgänge in Ägypten äußerst gering ist. Wir könnten sagen, dass auch die Amerikaner, was immer sie tun, dort keine Demokratie nach westlichem Vorbild hervorzaubern werden, dass die Rückkehr zum demokratischen Fahrplan gerade mehr Gefahren birgt als Rettung verheißt und dass als einzige die Herrschaft des Militärs den Ägyptern für den Moment eine gewisse Stabilität und Sicherheit für das Wiederaufleben der Wirtschaft verspricht. Doch soviel Ehrlichkeit würde dem Westen als Verrat an sich selbst und seinem Kanon ausgelegt. Um unserer Glaubwürdigkeit willen müssen wir uns zur Demokratie am Nil bekennen. Deshalb heucheln wir munter weiter. Unser aktuelles Stück auf der Bühne der Welt heißt Symbolpolitik. Die Inszenierung ist eine Schmierentragödie, also wenig überzeugend. Aber etwas anderes gibt der Spielplan zur Zeit nicht her.