Hätte die SPD nach der Wende Mitglieder der SED aufgenommen, wäre sie heute stärkste Partei im Osten – meint unsere Kolumnistin.

Stuttgart - Sie wollte keusch und unberührt in der neuen Zeit ankommen. Sie wollte als einzige Jungfrau unter der Konkurrenz glanzvoll herausstechen. Sie wollte rein sein und rein bleiben. Deshalb hat sich die liebe, gute Tante SPD mächtig geziert und verweigert, als ehemalige Mitglieder der SED nach der Wende um Aufnahme baten. Die Partei wollte sich nicht beflecken mit Leuten, die eine menschenschindende Diktatur gestützt oder gar gelenkt hatten. Sie nahm ihnen nicht ab, dass sie von der Krankheit des Kommunismus so blitzschnell geheilt seien. Vor allem an der Basis fürchtete man, von schnöden Wendehälsen überrannt zu werden. So rettete die alte Dame ihr Ansehen. Aber so verlor sie im wiedervereinigten Deutschland auch an Bedeutung.

 

Die anderen fingen es schlauer an. CDU und FDP nahmen ihre östlichen Ableger, die sogenannten Blockflöten, mit offenen Armen auf und integrierten sie. Das fiel nicht schwer. Ihre neuen Mitglieder waren ja auch nicht die Mitglieder der alles entscheidenden SED gewesen, sondern als Alibi der kommunistischen Parteimacht benutzt worden, ewig gedeckelt, oft gedemütigt, vor allem aber auf ihre Feigenblattfunktion beschränkt. Blockflötisten konnten niemals in höchste Ämter aufsteigen und wirklich Macht ausüben. Angekommen in der Union und bei den Bonner Liberalen durften sie sich endlich zu Hause fühlen. In der Öffentlichkeit wurden sie zwar als Wendehälse geschmäht, im Innern gab es so gut wie keine Probleme.

Die SPD hätte Kraft tanken können

Was aber hätten Tausende ehemalige SED-Mitglieder mit der SPD gemacht? Vielleicht wären es sogar hunderttausend aus dem Topf von über 2,2 Millionen Genossen gewesen, die in den achtziger Jahren zur SED gehörten und jetzt Einlass bei einer westlichen Volkspartei begehrten. Da sind viele Rollen denkbar. Eintritte und Auftritte wie die des prominentesten Abgewiesenen, des früheren Oberbürgermeisters von Dresden, Wolfgang Berghofer, der schon vor der Wende vom Saulus zum Paulus geworden war. Ein Besuch in Westdeutschland und die Begegnung mit dem Vorzeigekapitalisten Berthold Beitz hatten ihm die Augen geöffnet. So wagte er es als erster Amtsträger in der DDR, sich mit Dissidenten – sie nannten sich die „Gruppe der Zwanzig“ – an einen Tisch zu setzen und zu diskutieren. Dieser Mann wollte einfach weiter politisch wirken, wollte endlich etwas voranbringen, wollte mitmachen in der reichen westdeutschen Demokratie mit ihren Möglichkeiten und Ressourcen.

Das hätte sicherlich auch viele andere SED-Mitglieder gereizt: eben nur dabei zu sein, die historisch einmalige Verwandlung mitzugestalten. Vielleicht wären auch ein paar Altvordere darunter gewesen, die während der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED anno 1946 vereinnahmt worden waren und jetzt zurückdrängten in das Haus, aus dem man sie vertrieben hatte. Natürlich hätten sich zudem Opportunisten eingefunden und wahrscheinlich auch ein paar Wühlmäuse aus der Stasi. Die Sozialdemokratie hätte sie alle aufsaugen, integrieren, sie hätte die noch Wankenden überzeugen, bekehren und für das neue System gewinnen können. In dieser Weise hat sie ja auch in den siebziger Jahren die gewaltige Welle der Mitglieder aus der zum Teil revolutionär gesinnten Studentenbewegung aufgefangen und sich nährend einverleibt. An so viel Offenheit ist sie damals gewachsen und für bis dahin abgewandte bürgerliche Schichten interessant, ja wählbar geworden.

Eine politische Dummheit

Im Falle des zu erwartenden Schubs ehemaliger SED-Mitglieder, die nicht rebellischer und eher weniger dogmatisch gewesen wären als die Studenten von 1968, entschied sich die Partei anders. Was für eine Engherzigkeit! Welcher Schatz an Osterfahrungen einfach vertan! Wie viel Mitgliederwachstum hochmütig ausgeschlagen! Aber man war sich einfach zu fein. Vielleicht scheute man auch die Anstrengung. Auf alle Fälle war diese Entscheidung, die Sigmar Gabriel nun zurückzuholen versucht, von allen Fehlentscheidungen der SPD in den letzten Jahren – man denke nur an den geradezu irren Verschleiß von Vorsitzenden – die allerkurzsichtigste. Eine politische Dummheit. Denn das politische Restpotenzial der DDR war mit dem Naserümpfen der SPD ja nicht aus der Welt geschafft. Es lebt nun fröhlich weiter in der Partei, die sich Die Linke nennt und die der SPD gewaltig Konkurrenz macht.

Arme alte Sozialdemokratie. Da bist du nun geschrumpft und geschrumpft – ausgerechnet dort, wo du einmal stark warst, bevor die deutschen Diktaturen sich einzunisten begannen. Du warst die Größte in Mitteldeutschland. Jetzt gehörst du zu den Kleinen. Herrin warst du. Jetzt bist du demütige Dienerin. Mit deinen gerade mal 12,4 Prozent darfst du demnächst in Thüringen gesenkten Hauptes dem Glücksritter Bodo Ramelow von den mehr als doppelt so starken Konkurrenten die Steigbügel halten. Deine Führung dort hat es so gewollt. Die Basis, die geheiligte, hat entsprechend entschieden, denn die Basis, die Basis, die hat immer recht. So wie 1993, als sie den wenig talentierten Herrn Scharping zum Parteichef erkor. Ihn hobst du auf den Schild. Er stürzte tief. Nun machst du die Linken ehrbar, auf dass sie zum Dank demnächst einen SPD-Kanzler unterstützen. Doch keiner weiß, wie’s ausgeht. Du hättest es einfacher haben können. Wie rief noch unser aller geliebter Gorbi? Wer zu spät kommt . . .