Der grüne Regierungschef Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, will offenbar konkrete Bedingungen stellen für sein Ja im Bundesrat zu sicheren Maghreb-Staaten. 

Stuttgart - Der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs will seine Zustimmung im Bundesrat für die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer an Bedingungen knüpfen. Das ist seit Langem bekannt. Seine eigenen Äußerungen, aber auch die von Bundesparteichef Cem Özdemir, legten das nahe. Erstmals hat die Berliner „Tageszeitung“ nun in Kenntnis eines Forderungskatalogs, den Kretschmanns Mitarbeiter Volker Ratzmann an Kanzleramtsminister Peter Altmaier weitergeleitet haben soll, konkrete Vorschläge aus Stuttgart genannt: Demnach will Kretschmann eine Vereinfachung im asylrechtlichen Verfahren sowie eine Altfallregelung für seit Langem in Deutschland lebende Geduldete. Alle vor dem Stichtag 31. Dezember 2013 eingereisten Ausländer, die immer noch nur eine Duldung besitzen, sollen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Das beträfe weniger als 20 000 Menschen, eine „überschaubare, aber dennoch relevante Größenordnung“, zitiert die „Tageszeitung“ aus dem Papier.

 

Einen Kuhhandel bei den Maghreb-Staaten zu Gunsten der Geduldeten hatte vor Wochen schon Cem Özdemir – wie Kretschmann vom Realo-Flügel der Grünen – angeregt. Diese Personen erhielten keine Integrationsleistungen wegen ihres Status, aber man brauche eine Lösung für sie, denn es sei klar, „dass sie nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren werden“.

Kretschmann: Europa steht auf dem Spiel

Bei seiner Regierungspressekonferenz am Dienstag in Stuttgart wiederholte Kretschmann frühere Aussagen, wonach er die Frage nach seinem Verhalten im Bundesrat prüfen werde, sobald sie gestellt werde. Er bestätigte indirekt aber seine Sondierungen. „Wir stehen in ständigem Kontakt mit der Bundesregierung“, sagte er auf die Frage, ob er einen „Alleingang“ bei den Verhandlungen über die Maghreb-Staaten anstrebe.

An seiner Sympathie für die Haltung der Bundeskanzlerin machte Kretschmann erneut keinen Hehl. Was die Notwendigkeit einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise betreffe, sehe er sich „eins zu eins in der Übereinstimmung“ mit Merkel. „Es steht Europa auf dem Spiel.“ Und er ergänzte: „Wenn wir den Schengen-Raum aufgäben, hätte das fatale Folgen.“ Nicht abgeneigt scheint der grüne Ministerpräsident allerdings zu einem härteren Kurs, ohne das näher zu erläutern: „Wir müssen jetzt zu restriktiveren Maßnahmen greifen, das erfordert die Lage.“

Zerreißprobe

Für die Grünen bedeutet eine mögliche Zustimmung der Stuttgarter zu sicheren Maghreb-Staaten eine Zerreißprobe. Zwei Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung müssten dem Maghreb-Kompromiss zustimmen, der grüne hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir – auch er ein Realo – ist dazu neben Kretschmann offensichtlich ebenfalls bereitet. Aus der grünen Bundestagsfraktion, aber auch von den in Rheinland-Pfalz mit der SPD regierenden Grünen ist Kritik daran vernehmbar, die Maghreb-Staaten als „sicher“ zu erklären.

„Da zuzustimmen wäre hochgradig bedenklich“, sagte Daniel Köbler, der Grünen-Fraktionschef in Mainz, der StZ. Denn Amnesty berichtet seit Jahren über Folter durch Polizei und Sicherheitskräfte in Tunesien und Marokko. In beiden Ländern werden Homosexuelle angeklagt und zu Haft verurteilt. Bedenken haben auch die Grünen in Berlin. „Als Bundestagsfraktion lehnen wir das Konzept der sicheren Herkunftsländer ab“, heißt es. Allerdings gebe es eine Art Rollenverteilung bei den Grünen: „Die Bundesebene respektiert die Entscheidungen der grünen Landesregierungen.“

Strobl: Kretschmann schadet dem Land

Kretschmanns Taktieren hat Empörung in anderen Parteien ausgelöst. Unionsfraktionsvize Thomas Strobl (CDU) hat die Grünen aufgefordert, dem Gesetzentwurf zu sicheren Herkunftsstaaten im Bundesrat rasch zuzustimmen. „Es kann nicht sein, dass die Grünen meinen, hier Dinge hineinverhandeln zu können, die mit den sicheren Herkunftsstaaten nichts zu tun haben. Ich erwarte, dass sie zustimmen – und zwar schnell.“

Hans-Ulrich Rülke, der Chef der FDP-Landtagsfraktion in Stuttgart, sprach von „unverantwortlichem Zögern“ und einer „grünen Wunschliste“. Kretschmann schade dem Land, denn der „weitgehend unkontrollierte Zustrom der Flüchtlinge ist ungebrochen“. Der Linke-Parteichef Bernd Riexinger meinte hingegen, Kretschmann biedere sich der CDU für eine schwarz-grüne Koalition in Baden-Württemberg regelrecht an, indem er Menschenschicksale gegeneinander ausspiele. „Die Grünen verlieren ihren Status als Menschenrechtspartei.“