Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, hält allein bei der Bundespolizei 20 000 neue Kräfte für notwendig. Insgesamt hätten die Polizisten des Bundes und der Länder bereits bis zu 20 Millionen Überstunden angehäuft.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Herr Wendt, seit Silvester herrscht der Eindruck, als sei die Polizei nicht mehr Herr der Lage. Kann sie die Bürger noch schützen?
Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. Das muss man bei aller Kritik mal festhalten. Die Einschätzung in der Silvesternacht war falsch, weil es das Phänomen dieser Übergriffe in so einer Dimension zuvor nicht gegeben hatte. Es kommt immer mal wieder vor, dass Polizei vor neuen Einsatzlagen steht – daraus lernen wir dann schnell.
Ist der entstandene Imageschaden reparabel?
Davon bin ich sehr überzeugt. In Köln wird die Polizei einen guten Karnevalseinsatz hinlegen. Und eine wichtige Figur für die Reparatur wird der neue Polizeipräsident sein, der sehr professionell agiert.
Dass Menschen verstärkt Schreckschusswaffen kaufen, ist doch ein Misstrauensvotum gegen die Polizei?
Die Sicherheitsbehörden genießen insgesamt ein hohes Vertrauen. Das gilt aber nicht mehr für die Belastbarkeit. Im vorigen Jahr sind, stark schwankend, zwischen zehn und 20 Millionen Überstunden bei allen Polizeien aufgelaufen – allein bei der Bundespolizei zwei Millionen. Das geht direkt auf die Knochen der eingesetzten Kräfte. Wir haben stets gesagt: Wenn die Politik weiter spart, darf nichts mehr passieren. Jetzt ist die Polizei an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen. Jetzt geht es nur noch mit Überstunden.
Was passiert mit so vielen Überstunden?
Durch die Einsätze werden die Überstunden über lange Zeit mitgeschleppt. Es darf auf keinen Fall passieren, dass sie verfallen. Das wäre Diebstahl an der eigenen Belegschaft. Aus unserer Sicht wären Langzeitkonten eine Lösung – keine Lebenszeitarbeitskonten, die auf einen früheren Ruhestand abzielen, sondern eine flexible Handhabung dieser Konten etwa als Reserve für die spätere Pflege von Angehörigen oder bei älteren Beschäftigten zur Vermeidung eines Nachtdienstes.
Gibt es Länder, die das mit den Konten regeln?
Im Bundesinnenministerium gibt es ein Pilotprojekt dazu, wovon die Bundespolizei leider ausgenommen ist – wofür wir wenig Verständnis haben. Aber es gibt keine Polizei, die das so regelt. Folglich werden sich die Länder untereinander kaum noch unterstützen können. Jetzt müssen sich diejenigen Länder etwas einfallen lassen, die ihre Bereitschaftspolizei massiv abgebaut haben. Sachsen und Sachsen-Anhalt setzen daher auf die Wachpolizei.
Erhöhen diese Wachpolizisten mit ihrer Schmalspurausbildung tatsächlich die Sicherheit?
Es ist eine Notwehrmaßnahme, die schnell für Entlastung sorgt – kein Königsweg. Sie befreit Vollzugsbeamte von Aufgaben wie dem Dauerobjektschutz. Wenn man Angestellte dies machen lässt, stehen die ausgebildeten Polizisten für anderes zur Verfügung. Berlin macht seit Jahrzehnten hervorragende Erfahrungen damit, da wachen Tarifbeschäftigte vor den Botschaften.