Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)
Kommen wir von diesem neuen Krisenherd zurück zu einem altbekannten: Vor gut einem Jahr war der Putsch in der Türkei. Sehen Sie Indizien, dass der türkische Präsident wieder auf einen moderateren, demokratischeren Kurs zurückkehren könnte?
Der Kurswechsel in der Türkei ist ja nicht von heute auf morgen eingetreten. Der gescheiterte Putsch war vielleicht eher ein Katalysator als ein Wendepunkt für die Politik von Präsident Erdogan. Einschränkungen der Pressefreiheit, der Umgang mit der kurdischen Minderheit und anderes mehr machen uns seit Jahren wachsende Sorgen. So sehr ich mir dies wünschen würde, im Moment sehe ich keine Anzeichen für einen grundlegenden Wandel dieser Politik. Wir sind bereit, der Türkei die Hand zu reichen. Aber es braucht Veränderungen in Ankara, im Ton und in der Sache, um einen neuen Anfang schaffen zu können.
Was hat die Neujustierung der deutschen Türkeipolitik ausgelöst?
Die willkürliche Festnahme von Peter Steudtner, einem unbescholtenen Deutschen, ist einfach völlig inakzeptabel. Wir mussten lernen, dass sich unsere Geduld und die Bereitschaft zum fairen Dialog in keiner Weise ausgezahlt hat. Im Gegenteil: Es wurde jedes Mal schlimmer. Nun sind es schon neun Deutsche, die ohne Kenntnis über die ihnen zur Last gelegten Straftaten sind oder sich an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfe erwehren müssen. Wer Deutsche so behandelt, kann nicht im Ernst erwarten, dass wir in den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen so tun, als sei alles prima.
Das spricht doch für ein Ende der EU-Beitrittsgespräche?
Die Europäische Union ist in ihrem Kern eine Wertegemeinschaft. Die Türkei möchte seit Langem ein Teil dieser Gemeinschaft werden. Dann muss sie aber auch unsere europäischen Werte als eigene akzeptieren und entsprechend handeln. Es ist deshalb an der Türkei zu entscheiden, welchen Weg sie gehen möchte: Richtung Westen, hin zu Europa, mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Presse- und Meinungsfreiheit, oder nach Osten, in eine an Konflikten und Spannungen so reichen Region. Ich denke und hoffe, die Menschen in der Türkei wissen, welche Entscheidungen von historischem Ausmaß für sie und ihr Land am besten getroffen werden sollten.