Kinder vom Goldberg erzählen Sagen ihrer Heimat. Annette von der Mülbe hat sie gesammelt – für ein Sindelfinger Märchenbuch.

Sindelfingen - Multikulturelle Städte gelten im Allgemeinen als Problemkommunen. Viele Nationen - viele Probleme, so die gängige Formel. „Nein, das ist ein ungeheurer Reichtum“, findet Anette von der Mülbe, Theaterpädagogin aus Sindelfingen. Sie lebt auf dem Goldberg, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kita und Grundschule. Aus 24 Nationen stammen die Familien, deren Kinder die Einrichtungen besuchen. „Da lagert ein ungeheurer kultureller Schatz“, findet von der Mülbe. Diesen wollte sie heben.

 

Gemeinsam mit der Sindelfinger Bürgerstiftung und ihrer Kollegin Anke Marx sammelte von der Mülbe Märchen aus aller Welt. Erzählt haben sie Kinder und Eltern der Kita und der Grundschule auf dem Goldberg. Entstanden ist daraus ein Sindelfinger Märchenbuch mit dem Titel „Ali Baba trifft Baba Jaga“. Pünktlich zu Weihnachten ist es nun fertig.

Eine Reise rund um den Globus

Einmal rund um den Globus führt das schön aufgemachte Buch. Acht Märchen aus Deutschland, Ungarn, Marokko, Indien, der Türkei, Brasilien, Vietnam und der Ukraine werden in Deutsch und der jeweiligen Landessprache erzählt. Bebildert sind die Geschichten mit Zeichnungen der am Projekt beteiligten Kinder. Die Erzähler, die die Geschichte eingebracht haben, werden jeweils mit Foto gezeigt und sie erzählen, was sie in Deutschland aus ihrer Heimat und wiederum dort aus Deutschland vermissen. Jede Familie hat zudem ein Rezept für ein landestypisches Essen dazugestellt.

Samosa – eine Art indische Maultaschen – sind das Lieblingsessen von Zaee Kale und ihrer neunjährigen Tochter Sawani. Die Geschichte, die die Familie beigesteuert hat, handelt von dem kleinen Zaubererjungen Krishna, der mit der sechsköpfigen Python Kaliya kämpft – und diese besiegt. „Es ist eines der bekanntesten Märchen in meiner Heimat“, sagt Zaee Kale, die die Geschichte auch in ihrer Muttersprache Marathi niedergeschrieben hat. Wie alle anderen im Buch versammelten Märchen wurde auch dieses aufgeführt. Kales Tochter Sawani spielte Krishnas Mutter Yashoda. „Aber auch bei den anderen Märchen hat Sawani mitgespielt, bei der vietnamesischen Geschichte war sie beispielsweise die Erzählerin“, berichtet Zaee Kale.

Besonders gefallen hat der gebürtigen Inderin, die seit elf Jahren in Sindelfingen lebt, „dass es ein langfristiges Projekt war“. Ein Jahr lang gab es jeden Monat ein Treffen, bei dem ein anderes Märchen vorgestellt wurde und eine andere Leckerei zum Probieren. Vor jedem Treffen, bei denen ein Märchen von den Kindern aufgeführt wurde, besuchten die Theaterpädagoginnen die Kita oder die Schule und übten mit einer Gruppe das Stück ein. Zwölf Märchen wurden präsentiert, acht davon für das Sindelfinger Märchenbuch ausgewählt.

Die beiden Titelfiguren Ali Baba und Baba Jaga finden sich übrigens nicht im Buch. „Sie stehen als Symbole für die Märchen aus dem orientalischen und dem östlichen Kulturkreis“, sagt von der Mülbe. Das deutsche Märchen repräsentiert die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten.

Zum Projekt, das von der Sindelfinger Bürgerstiftung beim Wettbewerb der Herbert-Quandt-Stiftung eingereicht und von dieser mit 5000 Euro gefördert wurde, gehörte auch das Anlegen eines Märchenpfades auf dem Goldberg. Er führt von der Kita über die Kinderbibliothek bis zur Grundschule. An mehreren Stationen haben die Kinder unter der Anleitung der Künstlerin Sabina Hunger selbst gefertigte Pflastersteine aus Keramik mit Märchenmotiven in den Boden eingelassen. Noch fehlen Täfelchen mit Erläuterungen zum Projekt. Nun sollen Paten gesucht werden, die sich um die Pflege des Märchenpfads kümmern.

Das Märchebnuch kostet 9,95 Euro und kann im I-Punkt in der städtischen Galerie am Sindelfinger Marktplatz gekauft werden.