Vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht hat eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien einen Etappensieg errungen. Sie soll nach Bulgarien abgeschoben werden – nach Ansicht des Richters allerdings auf der falschen Rechtsgrundlage.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Sindelfingen - Fatima Hamza und Khalid Mansour sind erst einmal erleichtert. Ihr Einspruch vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht gegen eine vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angeordnete Abschiebung scheint Erfolg gehabt zu haben. „Jetzt hoffen wir auf ein gutes Ende“, sagt die 57-Jährige. Mit ihrem drei Jahre älteren Mann Khalid Mansour ist sie im März 2013 aus Syrien geflohen. Begleitet wurden die Eheleute von ihrem Neffen Tarek Abd Rabba, dessen Frau und fünf Kinder. Über Bulgarien kamen sie nach Deutschland und leben mittlerweile in Sindelfingen. Nach Ansicht des Richters Hermann Sohler ist die Abschiebung auf der falschen rechtlichen Grundlage angeordnet worden.

 

Wenn Khalid Mansour an Bulgarien denkt, steigt sein Blutdruck. „Es ist ein sehr bedrohliches Gefühl“, beschreibt er seine Angst vor der Abschiebung. In Bulgarien stellte die Familie einen Antrag auf Asyl – doch dort erlag seine 36 Jahre alte Nichte mangels medizinischer Versorgung ihrem Krebsleiden. Nach zwei Monaten hätten sie keinerlei Unterstützung mehr bekommen, weder eine Wohnung, noch Medikamente erhalten. Kein Krankenhaus habe sie aufnehmen wollen. „Wir haben dort so viel verloren“, sagt er. Der Bürgerkrieg und die Krankheit der Nichte waren der Grund für die Flucht aus Aleppo.

Fatima Hamza und Khalid Mansour haben keine eigenen Kinder. „Die Beziehung zur Familie meiner Nichte war sehr eng“, sagt der 60-Jährige. Mit einem Auto sind sie alle zusammen über die Türkei nach Bulgarien gefahren. Nach dem Tod der jungen Mutter setzten sie mit einem Schlepper ihre Fahrt fort und erreichten im Dezember 2013 mit Deutschland ihr Ziel. Schon in Syrien galt die palästinensische Familie als staatenlos, weil die Vorfahren im Jahr 1948 aus Israel geflohen waren. Sie lebten in einer Flüchtlingssiedlung und wurden wie viele Palästinenser nie eingebürgert.

Auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes wollte das Bundesamt Fatima Hamza und Khalid Mansour wieder nach Bulgarien zurückschicken. Denn das Land ist Mitglied in der Europäischen Union und gilt als sicherer Drittstaat. Eine europäische Verordnung spricht allerdings dagegen, waren sich der Richter und der Anwalt Manfred Weidmann einig: Danach müssen die Asylanträge einer Familie gemeinsam behandelt werden. In diesem Fall bedeutet die Regel, dass das Verfahren von Fatima Hamza und Khalid Mansour nicht von dem ihres Neffen Tarek Abd Rabba und seiner Kinder getrennt werden darf, auch wenn sie nicht direkt verwandt sind.

Für den Neffen und seine Familie gibt es noch gar keinen Bescheid. Bislang sei vom Bundesamt nur eine Prüfung seines Asylverfahrens angekündigt worden, erklärt der Anwalt. „Es ist rechtlich außerordentlich kompliziert“, sagt Manfred Weidmann über das Verfahren. Das Urteil vom Verwaltungsgericht wird nach der Verhandlung am Donnerstag in rund zwei Wochen veröffentlicht. Es ist aber nur ein Zwischenentscheid und bedeutet noch lange nicht, dass die Familie zusammen in Sindelfingen bleiben kann. „Wir bedanken uns bei der Bundesrepublik Deutschland und dem deutschen Volk“, sagt Khalid Mansour dennoch, „sie haben uns sehr gut und so menschlich empfangen.“ Seine größte Sorge ist, dass er und seine Frau von den Kindern getrennt werden könnten.

„Es ist eine tragische Geschichte“, findet Ingrid Lambart vom Freundeskreis Asyl. Die Familie gebe sich viel Mühe, sich in Deutschland zu integrieren. Der fünfjährige Abdullah besucht den Kindergarten, sein neun Jahre alter Bruder Ahmed hat schon von der Vorbereitungsklasse in die zweite Klasse der Eichholzschule gewechselt. Auch Ahmed (13), Sarah (15) und Ibrahim (17) sprechen gut Deutsch und ihre Ersatzmutter Fatima Hamza versucht ebenfalls, sich die Sprache anzueignen. „Es ergibt doch keinen Sinn, sie wieder nach Bulgarien zurückzuschicken“, sagt Ingrid Lambart vor dem Verfahren am Verwaltungsgericht.