Die Sindelfinger Punkband Wizo ist so erfolgreich wie lange nicht. Wie konnte es soweit kommen? Eine Spurensuche zum Tourabschluss im Backstage des LKA zwischen Bio-Catering und Donald Trump.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Kurz vor Konzertbeginn ist Axel Kurth dann doch angespannt bis in die Haarspitzen. In etwas hektischen Bewegungen streicht der Wizo-Gründer und -Sänger seine Haare in die Horizontale. Der Schlagzeuger Alex Stinson steht ruhig am Rande der Stufen, die vom Backstagebereich der Konzerthalle LKA in Stuttgart-Wangen auf die Bühne herabführen. Der Bassist Ralf Dietel schüttelt sich die Anspannung aus den Rastalocken. Die drei Wizo-Bandmitglieder formen einen Kreis, der Abschluss einer äußerst erfolgreichen, siebenwöchigen Tour wird beschworen. Als Axel Kurth gemeinsam mit Alex Stinson die ersten Stufen zur Bühne hinunter nimmt, schaltet er um in den Rampenlicht-Rampensau-Modus, die Anspannung wirkt wie weggeblasen. „Die Bühne ist unser Save-Space, da kann uns nichts passieren“, hatte er zuvor gesagt. Ralf Dietel lässt seine zwei Bandkollegen erst mal alleine machen, die ersten Takte singt er gemeinsam mit dem Manager Fratz A. Thum hinter den Kulissen mit, ehe auch er die Bühne entert.

 

Punk’s not dead, weil er sich mittlerweile gesund ernährt

Vier Stunden zuvor: Das Bio-Catering ist aufgetragen, es gibt Rote-Bete-Salat, Wraps, eine Teestation mit frischem Ingwer. Punk’s not dead, weil er sich mittlerweile sehr gesund ernährt. Axel Kurth isst einen Teller Pasta. „Das richtige Timing ist alles, man darf nicht zu spät essen, sonst wird das Konzert durch Verdauen überlagert“, erklärt der Wizo-Gründer, der auf der aktuellen Tour vier Kilo abgenommen hat. Am Abend zuvor hatten Kurth und seine Kollegen den Tourabschluss in Stuttgart mit einem ausverkauften Auftritt im LKA eingeläutet, für das Zusatzkonzert an diesem Samstagabend gibt es nur noch wenige Restkarten. Die Band hat 28 Shows in knapp sieben Wochen hinter sich, rund 35 000 Besucher wollten die Punkband aus Sindelfingen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehen. Wie kann es sein, dass „der Wizo“, wie Fans und Bandmitglieder sagen, über dreißig Jahre nach Gründung so erfolgreich ist?

Auf diese Frage gibt es verschiedene Antworten. Die erste Antwort ist systemimmanent. Nach zahlreichen Bandkonstellationen ist die aktuelle Besetzung die beste, die es je gab. Das sagt zumindest jeder, den man backstage im LKA befragt. Der in Affalterbach geborene Schlagzeuger Alex Stinson, der am Abend zuvor seinen 31. Geburtstag gefeiert hat („Ich hatte schon schlechtere Geburtstage, ein ausverkauftes Konzert kann ich jedem nur empfehlen“), ergänzt die beiden älteren Herren Kurth (47) und Ralf Dietel (43) anscheinend perfekt, „zwischenmenschlich und musikalisch“, wie Manager Fratz A. Thum sagt.

Die politischen Rahmenbedingungen spielen Wizo in die Karten

Dann spielen Wizo natürlich die politischen Rahmenbedingungen des Jahres 2016 in die Karten. Donald Trump, AfD, Rechtsruck, einen besseren Nährboden könnte sich der Wizo für seine Kunst kaum wünschen. „Als Trump das erste Mal aufgetaucht ist, dachte ich, es gibt nichts Schöneres, als wenn der Präsident wird. Meine Subkultur war nie so kreativ wie bei Thatcher, Kohl oder Reagan“, sagt Kurth, der bei der Wahl der politischen Mittel selbstkritisch ist. „Ich bin mir ja selbst manchmal unsicher, wie weit ich mit meinem Linkspopulismus gehen kann, auf der Bühne ist in Zweieinhalb-Minuten-Songs aber keine Zeit für Erklärbär-Geschwurbel. In der Zeit hat die AfD vier Kracher herausgehauen.“

Was bei der Wizo-Tour 2016 am meisten überrascht: Die Konzertbesucher sind keine mittelalten Männer, die versuchen, ihre eigene Jugend bei der Single „Das goldene Stück Scheiße“ von 1994 wieder aufleben zu lassen. Im Gegenteil, das Publikum ist sehr jung und dabei äußerst textsicher. Und: Es sind erstaunlich viele Frauen zugegen, und zwar auch und gerade im Moshpit, in dem Bereich des Konzerts also, wo Pogo getanzt wird. Das Wizo-Publikum ist aber gut erzogen: Fällt einer hin, versucht sofort ein anderer, das wilde Getrampel zu stoppen, dem Gefallenen wird auf die Beine geholfen. Was irritiert: Einige der jungen Konzertbesucher lassen auch beim Crowdsurfing ihr Handy nicht los. Bei näherem Betrachten wird klar, dass sie sich auf den Köpfen der anderen Konzertbesucher selber filmen. Selbst im Wizo-Moshpit inszeniert so mancher sein Leben also wie einen Vodafone-Werbespot, inklusive Abschluss-Selfie im Graben vor den Ordnern.

Die aktuellen Stücke sind wütender und treffen daher den Zeitgeist

Wie erklärt sich Axel Kurth die vielen jungen, weiblichen Konzertbesucher? „Wir haben beim neuen Material viel Augenmerk aufs Gendern gelegt, das war in den alten Texten sicher anders“, sagt er und verabschiedet sich mit den Worten, er müsse mal in der Garderobe „nach dem Linken sehen“.

Esther Butzke bestätigt die Einschätzung von Axel Kurth. Butzke ist seit 22 Jahren Wizo-Fan. Die 37-Jährige ist extra aus Flensburg nach Stuttgart gereist. „Früher gab es mehr Quatschlieder, die aktuellen Stücke sind wütender, das trifft den Zeitgeist“, sagt Butzke über den aktuellen Wizo-Erfolg. Ein anderer Wizo-Fan begleitet die Band noch länger. Klaus Kurth, 78 Jahre alt, ist Axel Kurths Vater. Den Erfolg der Band erklärt Kurth senior mit dem Ehrgeiz seines Sohns: „Der hat Stunde um Stunde geübt.“ Und dann sagt Klaus Kurth den wunderschönen Satz: „Wenn sie einen Punker als Sohn haben, ist das nicht immer leicht gewesen. Als ich aber in Amerika und Kanada Schallplatten und CDs von ihm entdeckt habe, hat mich das sehr stolz gemacht.“ Klaus Kurth lächelt dem Manager Fratz A. Thum zu.

Der Tourabschluss fühlt sich an wie ein großes Familientreffen

Vielleicht ist das ja das letzte Geheimnis des aktuellen Wizo-Erfolgs: Der Tourabschluss fühlt sich wie ein großes Familientreffen an, wie das Finale einer wochenlangen Familienfeier einer Großfamilie mit Namen Wizo. In einem Facebook-Post hatte sich Manager Thum zuvor bedankt für die große Dankbarkeit, die die Band auf dieser Tour erfahren hat. Der 49-Jährige blickt gelöst auf das Abschlusskonzert seiner Schützlinge auf der Bühne des LKA: „Wo ein Wind weht von rechts, rutschen die Leute wieder enger zusammen.“