Die Verwaltung hat Steueranwälte eingeschaltet. Diese sollen prüfen, ob Sindelfingen die Finanzbehörden regresspflichtig machen kann, weil diese ihrer Informationspflicht über die Gewerbesteuerrückzahlung nicht nachgekommen sind.

Sindelfingen - Wer hat Schuld am Finanzdebakel der Stadt Sindelfingen? Um diese Frage, die den Bürgern wie Kommunalpolitikern gleichermaßen unter den Nägeln brennt, drehte sich eine Krisensitzung des Gemeinderats am Dienstagnachmittag. Die Antwort des Oberbürgermeisters Bernd Vöhringer darauf war klar und eindeutig: „Die Landesfinanzverwaltung hat die Pflicht, uns zu informieren, das hat sie nicht getan.“ Vöhringer bestätigte den Eingang eines Briefs vom Finanzministeriums mit dieser Nachricht an ihn, über den unsere Zeitung am Samstag berichtet hatte. Auslegen dürfe er ihn wegen des Steuergeheimnisses nicht, sagte er.

 

Wie berichtet, muss die Stadt 38 Millionen Euro Gewerbesteuer aus dem Jahr 2002 an Daimler zurückzahlen. Hinzu kommen 24 Millionen Euro an Zinsen, die in dieser Zeit aufgelaufen sind. Die Ursache für die Rückzahlung, die viele Kommunen betrifft, ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2013. Unternehmen aus Münster und München hatten Klage gegen ihre Steuerbescheide eingelegt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirkt sich auf alle anderen Steuerzahler aus, die Einspruch eingelegt hatten.

Hohe Hürden für Schadenersatz

Die Stadt habe nichts von diesem Einspruch gewusst, betonte Vöhringer. „Davon wissen nur zwei: der Steuerpflichtige und die Finanzverwaltung.“ Er verwies auf den sogenannten Anwendererlass zur Abgabeordnung. Danach sollten „Finanzämter steuerberechtigte Gemeinden über anhängige Einspruchsverfahren gegen Realsteuermessbescheide von größerer Bedeutung unterrichten“. Dies habe das zuständige Finanzamt versäumt. Die Stadt habe nun zwei Steueranwälte beauftragt, die prüfen sollten, ob die Stadt Schadenersatz von den Finanzbehörden fordern könne. „Die Hürden dafür liegen aber sehr hoch“, dämpfte er die Erwartungen auf Erfolg. „Doch wir wollen sicherstellen, dass wir von solchen Informationen künftig nicht mehr überrascht werden.“ Ein Gutes habe dieses Debakel, meinte der OB: „Wir haben viel für die Kommunen im Land getan. Es gibt jetzt eine eindeutige Anordnung des Landes an die Finanzverwaltungen, die bestehende Informationspflicht auch tatsächlich umzusetzen.“

Der Unmut der Stadträte ist groß. „Mein Vertrauen in die Rechtsprechung ist ziemlich erschüttert“, sagte Ingrid Balzer, die Fraktionschefin der Freien Wähler. „Verluste aus Zockergeschäften werden nun auf die Allgemeinheit abgewälzt“, sagte Richard Pitterle von den Linken. Einig waren sich die Räte, dass das Versäumnis der Finanzverwaltung, die Stadt rechtzeitig zu informieren, diese nun in große Bedrängnis gebracht habe. „Wir hätten so manche Entscheidung im vergangenen halben Jahr anders getroffen, wenn wir das gewusst hätten“, sagte Hans Grau, der Fraktionschef der Grünen. Andreas Knapp, der Fraktionschef der FDP, konnte dem Debakel etwas Positives abgewinnen: „Es tut uns gut, nun mal innezuhalten., Wir haben in den vergangenen Monaten ein ganz schönes Ausgabetempo hingelegt.“

Neuer Haushalt wird im Mai eingebracht

Am 19. Mai will die Stadtverwaltung den neuen Etatentwurf einbringen. Die gute Nachricht des OB: „ Wir gehen davon aus, dass wir keine bestehenden Strukturen zerschlagen müssen.“ Es müssten wohl einige Projekte verschoben werden, vielleicht auch einige gestrichen. „Aber alle Maßnahmen, die bereits angelaufen und bei denen wir rechtliche Verpflichtungen eingegangen sind, laufen natürlich weiter“, sagte der Finanzbürgermeister. Dies gelte zum Beispiel für die begonnene Sanierung des Glaspalastes.

Nach der ersten Hälfte der Sitzung, die recht harmonisch verlaufen war, kam es im zweiten Teil zu einem Schlagabtausch zwischen dem OB und dem SPD-Fraktionschef Andreas Schneider-Dölker. „Wir sind verärgert über den offenen Brief Ihrer Fraktion“, sagte Vöhringer. Darin hatte die SPD eine Sitzung des Gemeinderats zum Finanzdebakel gefordert. „Dies wäre nicht nötig gewesen. Sie hätten einfach auf uns zukommen können“, so der OB. „Sie versuchen aus der Situation politisches Kapital zu schlagen“, warf er der SPD vor.