Sechs Monate nach dem Start der Vorbereitungsklasse für begabte ausländische Jugendliche am Pfarrwiesen-Gymnasium sind fast alle noch dabei. Die Motivation der Schüler ist hoch, eine Schülerin schaffte sogar direkt den Sprung an die Uni.

Sindelfingen - Vor einem halben Jahr haben wir die neue Vorbereitungsklasse am Sindelfinger Pfarrwiesen-Gymnasium das erste Mal besucht. 19 begabte Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren, davon 80 Prozent Flüchtlinge, die erst wenige Monate in Deutschland lebten, starteten ihre Karriere an einem deutschen Gymnasium. Nun sind wir neugierig. Sind noch alle da?

 

Nein. Fünf Schüler haben die Klasse verlassen. Doch abgesprungen ist nur eine Französin, die doch lieber ihr Abitur in ihrer Heimat machen wollte. Die vier Flüchtlinge, die in der Klasse fehlen, haben es bereits geschafft. Besonders stolz ist die Klassenlehrerin Meike Hertkorn auf die 19 Jahre alte Dalo. Die Syrerin schaffte den Sprung direkt aus der Vorbereitungsklasse an die Universität. Sie setzte sich bei einem Test gegen 150 Mitbewerber durch. Im Saarland studiert sie nun System Engeneering.

Physik und Mathe bereiten Soheil keine Schwierigkeiten

Drei weitere Schüler besuchen mittlerweile den Unterricht in den Regelklassen des Pfarrwiesen-Gymnasiums. Soheil ist einer von ihnen. Der 16-jährige Iraner fiel uns bereits bei unserem ersten Besuch durch seine differenzierten Fragen im Deutschunterricht auf. Nun ist er in eine der zehnten Klassen integriert. „Heute schreibe ich noch eine Klassenarbeit in Deutsch“, erzählt er leicht nervös. Denn eine Erörterung steht an. Für Soheil ist das nicht nur eine sprachliche Herausforderung, konnte er doch bis vor anderthalb Jahren kein Wort Deutsch. Auch diese spezielle Textform, die Jugendliche in Deutschland lernen, kennt er nicht aus seiner Heimat. Bis zur neunten Klasse war er im Iran in der Schule, bevor er ganz allein auf dem Landweg und übers Mittelmeer nach Deutschland flüchtete. „Ich war auf dem Gymnasium. Mit Mathe und Physik habe ich deshalb hier keine Probleme.“

Das gilt nicht für alle Schüler der Vorbereitungsklasse. „Viele haben durch die Flucht ein, zwei Schuljahre verloren“, sagt Meike Hertkorn. Hinzu kämen die Unterschiede durch die anderen Bildungssysteme, aus denen die meisten Schüler stammen. So sind die Lehrerinnen selbst Lernende, denn feste Lehrpläne gibt es nicht, zu heterogen ist die Gruppe. „Wir organisieren jetzt einen Crashkurs in Mathe und Englisch, damit die Schüler im September voll in die Regelklassen integriert werden können“, sagt Hertkorn. Auch in ihren Deutschunterricht bauen sie und ihre Kollegin Nadia Makhloufi Themen aus dem regulären Lehrplan ein. Als nächstes steht die Lektüre von Schillers „Die Räuber“ auf dem Programm.

Im Mai geht es nach Berlin

Das Highlight für ihre Schüler ist die im Mai geplante Berlinreise. „Ich habe den Jugendlichen Bilder des zerbombten Berlin nach dem zweiten Weltkrieg gezeigt. Jetzt sollen sie sehen, wie die Stadt wieder aufgebaut wurde“, sagt Hertkorn mit Blick auf ihre Schützlinge, von denen viele selbst aus zerbombten Städten wie Aleppo stammen. Ein weiterer Schwerpunkt soll die Begegnung mit Vertretern und Institutionen der Demokratie sein. Ein Besuch des Reichstags und ein Gespräch mit dem Böblinger CDU-Bundestagsabgeordneten Clemens Binninger sind geplant.

Unterfordert fühlten sich ihre Schüler in den Vorbereitungsklassen der Berufsschulen, in die normalerweise neu ankommende Jugendliche eingewiesen werden. Dort säßen Analphabeten neben Gymnasiasten, sagt Hertkorn, die zuvor selbst in einer solchen Klasse in Calw unterrichtete. Um die leistungsstarken Schüler zu fördern, initiierte Bodo Philipsen, der Rektor des Pfarrwiesen-Gymnasiums eine Vorbereitungsklasse auf Gymnasialniveau.

Drei Viertel schaffen das Abitur, glaubt die Lehrerin

Nicht jeder wird aufgenommen: Eine Empfehlung des bisherigen Lehrers ist notwendig, zudem gibt es einen Eingangstest. Laufend werden neue Jugendliche aufgenommen. 20 Stunden intensiven Deutschunterrichts stehen jede Woche auf dem Programm. Hinzu kommt der Besuch anderer Fächer in den Regelklassen.

Mindestens drei Viertel ihrer Schüler hätten das Potenzial, das Abitur zu machen, so Hertkorns Einschätzung. Bis zum Sommer muss feststehen, wie es für jeden Schüler weiter geht. Drei Alternativen gibt es: Die volle Integration in die Regelklasse zum Schuljahresbeginn im September, ein weiteres Jahr in der Vorbereitungsklasse oder die Empfehlung für einen anderen Schulabschluss, zum Beispiel die Mittlere Reife. „Wir lassen niemanden hängen“, sagt Meike Hertkorn, das sei klar.

Eines jedoch plagt den Rektor Philipsen: die Finanzen. „Die Crashkurse in Englisch und Mathe finanzieren wir mit Hilfe der Sindelfinger Bürgerstiftung“. Diese fördere auch den Einsatz von Ehrenamtlichen, die die Lehrerinnen im Unterricht stundenweise unterstützen – eine Notlösung. „Denn eigentlich müssten wir diese heterogene Gruppe im Lehrer-Tandem unterrichten, wie es auch an der Internationalen Schule üblich ist“, sagt Philipsen.

Trotz aller Schwierigkeiten sind die Schüler hochmotiviert. „Es ist einfach etwas anderes zusammen mit deutschen Schülern zu lernen als nur mit Ausländern wie in der Berufsschule“, sagt der 16 Jahre alte Modar. „Hier gehören wir dazu.“

Gymnasien in der Region

Schüler
Momentan besuchen 21 Jugendliche die Vorbereitungsklasse. Sie stammen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran, Serbien, Somalia, den USA, China, Gambia und Nigeria. Bis auf zwei sind alle Schüler Flüchtlinge. Sie leben im gesamten Landkreis Böblingen sowie im Kreis Calw.

Lehrer
Zwei Lehrer wurden eigens für die Klasse eingestellt. Den Rektor Bodo Philipsen ärgert die schlechte Bezahlung seiner wichtigsten Lehrkraft. „Frau Hertkorn als externe Lehrerin arbeitet zu unakzeptablen Bedingungen, weil das Regierungspräsidium (RP)sie anders einstuft als unsere eigenen Lehrer. Dabei macht sie dieselbe Arbeit.“ Das RP begründet dies mit der Ausbildung von Hertkorn.

Region
Weitere gymnasiale Vorbereitungsklassen gibt es in Stuttgart (Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium), in Esslingen (Georgii-Gymnasium) und Göppingen (Freihof-Gymnasium).