Region: Verena Mayer (ena)

Die bestehenden Schanzen des SC Degenfeld nehmen sich neben der künftigen K 75 fast bescheiden aus. Was noch mal mehr sagt über die K 75 als über die K 43 und die K 15. Denn auch die beiden kleineren sind einzigartig im weiten Umfeld. Sie haben den Skiclub zu dem gemacht, was er ist: ein Stützpunkt des Schwäbischen Skiverbands und ein Nachwuchsgenerator für die Bundeskader des Deutschen Skiverbands: Jan Mayländer, Tim Fuchs, Marco Wahl, Anna Rupprecht und natürlich Carina Vogt. Um nur ein paar Namen zu nennen. Das Blöde ist nur: die Pimpfe wachsen über die 15-Meter-Sprünge-Schanze hinaus, und irgendwann ist den Degenfelder Adlern auch die 43-Meter-Sprünge-Schanze keine Herausforderung mehr. Wer noch weiter hinauswill, muss in den Schwarzwald oder ins Allgäu nach Oberstdorf wie Carina Vogt. Deshalb also die Mindestens-75-Meter-Sprünge-Schanze. „Die K 75 wird den Trainingsbetrieb verbessern“, sagt Frank Ziegler, der dem SC Degenfeld vorsitzt.

 

Zwischen den Bäumen neben der K 15 stapfen kleine Mädchen den Hügel hinauf. Ihre Köpfe stecken unter zerkratzten Helmen, ihre Körper in geflickten Jumpsuits. Auch in Degenfeld ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Unten am Schanzentisch steht Petra Neher-Mack, die Trainerin der jungen Hüpfer. „Worauf achten wir?“, ruft sie den Anlaufturm hinauf. „Dass wir Höhe mitnehmen“, ruft Emily, die schon auf dem Startbalken sitzt, den Turm hinunter. „Und worauf noch?“ – „Dass die Schultern still halten“, piepst Juli, die in der Schlange steht. – „Und was ist noch wichtig?“, fragt die Trainerin. „Dass der Körper nach vorne geht und die Ski unten bleiben“, gickst Jana.

Haben die Mädchen keine Angst? – Nein, nur Spaß!

Im Prinzip wissen die Skifluglehrer auf der Ostalb schon immer, dass sie eine dritte Schanze brauchen. Im Prinzip gibt es die Idee für die K75 auch seit fast schon immer. Der erste konkrete Plan stammt aus dem Jahr 2003. Trotzdem hat es eine halbe Ewigkeit gedauert, bis mit der Umsetzung begonnen werden konnte. Zehn Jahre, um genau zu sein. Im April 2013 fand der Spatenstich für das Bauwerk statt.

Der Landesnaturschutzverband hat Bedenken

Degenfeld, das ist: ein Ort mit 460 Einwohnern, einem Kindergarten, einem Bezirksamt, das drei Mal die Woche geöffnet ist, einem Jugendraum, einer Vesperstube und einem Gasthaus mit Minigolfanlage. Die nächstgrößere Stadt ist in 13 Kilometer Entfernung Schwäbisch Gmünd, zu der Degenfeld seit 1971 gehört. Verträgt so ein Fleckchen so eine Schanze? Ein Monstrum, dessen stahlgerippter Sprungturm 34 Meter hoch in den schönen Himmel ragen und dessen belegte Betonzunge ungezählte Buchen und Fichten verschlucken wird? Reicht es nicht, dass sich die Naturschanze, dieses riesige Relikt aus schneereichen Wintern, so gut wie nutzlos geworden auf der anderen Seite des Kalten Feldes auftürmt? Sollte dies nicht eine Mahnung sein vor möglicherweise zu ambitionierten Höhenflügen?

Am Ende dieses Tages, wenn die etwa sieben ehrenamtlichen Arbeitsstunden rum sind, ist der Mattenteppich vielleicht drei weitere Meter gewachsen. Drei aus 130 – es gibt viel zu tun!

460 Einwohnern, ein Kindergarten, ein Bezirksamt

Die bestehenden Schanzen des SC Degenfeld nehmen sich neben der künftigen K 75 fast bescheiden aus. Was noch mal mehr sagt über die K 75 als über die K 43 und die K 15. Denn auch die beiden kleineren sind einzigartig im weiten Umfeld. Sie haben den Skiclub zu dem gemacht, was er ist: ein Stützpunkt des Schwäbischen Skiverbands und ein Nachwuchsgenerator für die Bundeskader des Deutschen Skiverbands: Jan Mayländer, Tim Fuchs, Marco Wahl, Anna Rupprecht und natürlich Carina Vogt. Um nur ein paar Namen zu nennen. Das Blöde ist nur: die Pimpfe wachsen über die 15-Meter-Sprünge-Schanze hinaus, und irgendwann ist den Degenfelder Adlern auch die 43-Meter-Sprünge-Schanze keine Herausforderung mehr. Wer noch weiter hinauswill, muss in den Schwarzwald oder ins Allgäu nach Oberstdorf wie Carina Vogt. Deshalb also die Mindestens-75-Meter-Sprünge-Schanze. „Die K 75 wird den Trainingsbetrieb verbessern“, sagt Frank Ziegler, der dem SC Degenfeld vorsitzt.

Zwischen den Bäumen neben der K 15 stapfen kleine Mädchen den Hügel hinauf. Ihre Köpfe stecken unter zerkratzten Helmen, ihre Körper in geflickten Jumpsuits. Auch in Degenfeld ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Unten am Schanzentisch steht Petra Neher-Mack, die Trainerin der jungen Hüpfer. „Worauf achten wir?“, ruft sie den Anlaufturm hinauf. „Dass wir Höhe mitnehmen“, ruft Emily, die schon auf dem Startbalken sitzt, den Turm hinunter. „Und worauf noch?“ – „Dass die Schultern still halten“, piepst Juli, die in der Schlange steht. – „Und was ist noch wichtig?“, fragt die Trainerin. „Dass der Körper nach vorne geht und die Ski unten bleiben“, gickst Jana.

Haben die Mädchen keine Angst? – Nein, nur Spaß!

Im Prinzip wissen die Skifluglehrer auf der Ostalb schon immer, dass sie eine dritte Schanze brauchen. Im Prinzip gibt es die Idee für die K75 auch seit fast schon immer. Der erste konkrete Plan stammt aus dem Jahr 2003. Trotzdem hat es eine halbe Ewigkeit gedauert, bis mit der Umsetzung begonnen werden konnte. Zehn Jahre, um genau zu sein. Im April 2013 fand der Spatenstich für das Bauwerk statt.

Der Landesnaturschutzverband hat Bedenken

Degenfeld, das ist: ein Ort mit 460 Einwohnern, einem Kindergarten, einem Bezirksamt, das drei Mal die Woche geöffnet ist, einem Jugendraum, einer Vesperstube und einem Gasthaus mit Minigolfanlage. Die nächstgrößere Stadt ist in 13 Kilometer Entfernung Schwäbisch Gmünd, zu der Degenfeld seit 1971 gehört. Verträgt so ein Fleckchen so eine Schanze? Ein Monstrum, dessen stahlgerippter Sprungturm 34 Meter hoch in den schönen Himmel ragen und dessen belegte Betonzunge ungezählte Buchen und Fichten verschlucken wird? Reicht es nicht, dass sich die Naturschanze, dieses riesige Relikt aus schneereichen Wintern, so gut wie nutzlos geworden auf der anderen Seite des Kalten Feldes auftürmt? Sollte dies nicht eine Mahnung sein vor möglicherweise zu ambitionierten Höhenflügen?

Der Landesnaturschutzverband äußert „erhebliche Bedenken“, als er die Pläne für die K 75 kennenlernt. Die Schanze führe zu einem starken Eingriff in die Landschaft, die noch dazu als Schutzgebiet ausgewiesen ist. Und sie beeinträchtige selbstverständlich die Fauna und die Flora. Auch die Degenfelder selbst sind nicht alle Feuer und Flamme. Gibt es denn nichts Wichtigeres für den Ort? Einen gescheiten Hochwasserschutz oder einen neuen Jugendraum. Oder, oder. „Die Stimmung im Ort war gespalten“, erinnert sich Angelika Wesner, die 2009 auch deshalb zur Ortsvorsteherin gewählt worden war, weil sie sich einst gegen den Schanzenbau ausgesprochen hatte.

Aber Degenfeld, das ist eben auch: der Skiclub mit rund 300 Mitgliedern. Wer trainiert die jungen Springer vier Mal pro Woche im Winter, zwei Mal im Sommer? Ehrenamtliche. Wer bereitet die Herbstspringen vor und wer organisiert die Schnupperkurse im Sommer? Ehrenamtliche. Wer mäht den Rasen, wer repariert die Banden, wer kümmert sich um Sponsoren, wer bewässert die Matten? Ehrenamtliche. Oder sollte man sagen: Verrückte? Am treffendsten ist wohl: Idealisten. „Von alleine geht gar nichts“, sagt Frank Ziegler, dessen idealistischer SC noch immer jeden Winter auf einen guten hofft, um das legendäre Springen von der alten Naturschanze organisieren zu können. Winterspringen bedeutet: Schnee walzen, Spur rinnen, Unterkünfte buchen, Fressbuden aufbauen, Catering klären, Straßen sperren. Also zehn Tage rödeln für zwei Tage Action, die Tausende von Zuschauern anzieht. Schon klar, dass sich solche Leute auch ins Zeug legen für eine neue Schanze.

Das Adlerauge der Trainerin

Die Mitglieder forsten also zum Ausgleich ein Stück Wald auf und renaturieren eine Wacholderheide. Sie weisen mit zwei Gutachten nach, dass für die Fledermäuse, Vögel und Wildbienen in der Umgebung wegen der K 75 die Welt nicht untergeht – und 2006 bekommen sie endlich, was sie wollen: die Baugenehmigung.

Am Fuße der K 43 warten drei größere Buben darauf, bis Petra Neher-Mack an der K 15 mit den Mädchen fertig ist. Kein Sprung ohne das Adlerauge der Trainerin. Der wartende Fabian erzählt, dass ihm während eines Sprungs mal seine Bindung aufging und er deswegen abgestürzt ist. Lucca berichtet, wie er mal einen Salto in der Luft hingelegt hat. Seine Brille war stark beschlagen und darum die Orientierung verschwunden. Und Max, der ist nach einer Landung mal gegen die Bande am Ende geknallt und hat sich das ganze Gesicht aufgeschürft.

Und dann? – Dann steht man halt auf und springt weiter.

Beim SC Degenfeld gibt es keine elektronischen Weitenmesser, hier wird persönlich Augenmaß genommen. Auch ein Raupenrasenmäher wäre eine feine Sache in dem steilen Gelände, aber so ein Luxusgerät ist viel zu teuer. Die Anschaffung einer Schneekanone für die Naturschanze hat der Verein aus demselben Grund verworfen. Und wie der automatische Transport der Skispringer vom Auslauf bis zum Turm bewerkstelligt werden könnte, ist auch eine Frage der Finanzen. Wie bitteschön will sich so ein Verein eine Schanze leisten, die 1,3 Millionen Euro kostet?

Freudige Verwüstung

Es dauert sechs Jahre, bis die Antwort auf diese Frage gefunden ist. Erst im Sommer 2012 steht fest, woher das Geld kommt. Vom Land, vom Deutschen und vom Schwäbischen Skiverband, vom Württembergischen Sportbund, von der Stadt, von Sponsoren und vom Verein. Als die Finanzierung steht, gibt auch der Ortschaftsrat dem Projekt seinen Segen. Also der kleine Teil des Gremiums, der nicht befangen ist. Entweder besitzen die Räte Grundstücke im Schanzenbereich oder einen Mitgliedsausweis des SC.

Und dann fliegt Carina zu Gold.

Die Kalte-Feld-Halle ist am Morgen nach dem historischen Ereignis wegen freudiger Verwüstung geschlossen. Das Public Viewing des SC ist um einiges mehr public ausgefallen als erwartet. Der Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd unterbricht sogar eine Sitzung im Rathaus, um beim Finale von Sotschi mitzufiebern. Menschenmassen rufen „Ziiiiieehhhh!“ als Carina abhebt und schwenken Fahnen. Sie singen „An Tagen wie diesen“ und taumeln durch die Halle, als vor Carinas Namen die Nummer eins auftaucht. Degenfeld geht um die Welt.

Die jungen Hüpfer

Drei Tage später empfangen noch größere Menschenmassen Carina zu Hause. Von ihrem Heimatort Waldstetten geht es im Autokorso auf den Rathausbalkon nach Schwäbisch Gmünd, wo die flugs komponierte Hymne „Viva Carina“ aus riesigen Boxen schallt. Von dort pilgern die Fans weiter nach Degenfeld, wo am Abend die ebenfalls frisch kreierte Hymne „Gold“ präsentiert wird. Der kleine SC kommt ganz groß raus.

Beim Schnuppertraining im folgenden Sommer ist noch mehr los als sonst. Es melden sich auch mehr Kinder an als in den Jahren zuvor. Sechs neue Jungmitglieder verzeichnet der SC, bei dem zurzeit 30 Springer trainieren. Als sich schließlich, ebenfalls in den postolympischen Monaten, herausstellt, dass der Untergrund der K 75 nicht so stabil ist wie gedacht, daher das Fundament massiver werden muss und das Bauwerk 280 000 Euro teurer wird als geplant, fällt kein böses Wort. Die Zuschüsse werden klaglos erhöht. Frank Ziegler sagt: „Der Olympiasieg kam zur rechten Zeit.“

„Du musst den Popo nach vorne mitnehmen“, erklärt Petra Neher-Mack dem frisch gelandeten Lucca. „Du bist zu spät raus“, sagt sie zu Fabian. „Dieser Sprung hat mir gefallen, so machen wir weiter“, lobt die Trainerin Max. Dann zu den Mädchen: „Jana, die Ski bleiben liegen! Juli, geh mit dem Körper weiter vor! Emily, prima!“ Auf den Helmen der jungen Hüpfer sind die Unterschriften von Carina Vogt und Martin Schmitt zu entziffern, daheim in sorgsam gehüteten Heften, haben sie noch mehr Autogramme: Severin Freund, Marinus Kraus, Katharina Althaus, Svenja Würth. Von den Großen eben, denen die Kleinen nacheifern – in Degenfeld, dem heißen Ort für Wintersport.