Der Stuttgarter Konzertunternehmer Michael Russ feiert an diesem Freitag seinen siebzigsten Geburtstag. Genauso lange wie ihn gibt es die SKS Russ. Von der nächsten Spielzeit an wird sie von seiner Tochter Michaela geleitet.

Stuttgart - Noch sitzt Michael Russ hier am Stuttgarter Charlottenplatz im Chefbüro der Südwestdeutschen Konzertdirektion Stuttgart Erwin Russ. Das Mobiliar ist deutlicher in die Jahre gekommen als der Hausherr, der an diesem Freitag siebzig wird. Auch die Fotografie von Russ’ Vater, die hinter ihm, dem Besucher gegenüber, hoch an der Wand hängt, stammt sichtlich aus vergangenen Zeiten. Die Requisiten lassen auf ein Traditionsunternehmen schließen – und tatsächlich ruht die SKS Russ auf breitem und stabilem Fundament, ist Platzhirsch und Marktführer in der Stadt, deutschlandweit bekannt und von bestem Ruf.

 

Michael Russ, dem das Geschäft 1976 vom Vater übertragen wurde, hat das Unternehmen ausgebaut. Pascal Funke, der alerte Geschäftsführer des Hamburger Pendants, von Funkemedia und der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette, lobt am Telefon den Kollegen Russ in höchsten Tönen: „Es gibt nicht viele Unternehmerpersönlichkeiten wie ihn in unserer Branche. Die SKS gehört künstlerisch, unternehmerisch und organisatorisch zu den relevanten Konzertveranstaltern.“

In diesem Jahr feiert die SKS Jubiläum. Sie wird ebenfalls siebzig – und sie wird weiter bestehen, denn der Sohn des Gründers hat die Geschäfte weitgehend auf die Tochter Michaela übertragen. Seit einigen Jahren firmiert sie als zweite Geschäftsführerin und wird von der Spielzeit 2015/16 an allein die Konzertprogramme zusammenstellen und die Geschicke des Familienunternehmens leiten. Das Chefbüro gebührt nach wie vor dem Senior. Wenn sie über den Vater spricht, dann knapp, aber mit viel Wärme. Seine Stärke? „Er ist immer optimistisch und positiv eingestellt.“ Und die Schwächen? Ohne zu zögern sagt Russ: „Er ist brutal ungeduldig.“

Immer öfter lässt er die Krawatte weg

Die Zukunft ist also personell gesichert, vielleicht deshalb sieht Michael Russ seit einigen Jahren auch so entspannt aus, wenn man ihm im Foyer der Liederhalle, im Beethovensaal oder in einem exquisiten Restaurant zum Essen trifft. Immer öfter lässt er die Krawatte weg, das Hemd ist zwei Knöpfe geöffnet, am rechten Handgelenk trägt er eines dieser flotten Armbänder aus geflochtenem Leder mit Silberverschluss, die gerade angesagt sind, meist ist er leicht gebräunt. Geraden Blickes und straff begrüßt Michael Russ seine Gäste, Kunden, Bekannte: Er ist eine Sportsnatur, fährt Rad, Ski, spielt passioniert Tennis und Golf, am liebsten auf Mallorca (praktischerweise nur zwei Flugstunden entfernt). Und Fußball. Seit Jahrzehnten besetzt er eine Abwehrposition bei den Stuttgarter Prominentenkickern, in 741 Spielen hat er auch 45 Tore geschossen, wie er betont.

Russ, wenige Tage nach Kriegsende in Unterkochen geboren, wohin die Familie 1944 evakuiert worden war, ist in jeder Hinsicht eine Schwabe aus dem Musterkatalog – im besten Sinne. Genauso gut hätte der Mercedesfahrer einen Platz im Management eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens oder beim Daimler gefunden. Konservativ, aber weltoffen. CDU-Mitglied, doch nicht dogmatisch – „liberal“ nennt ihn die Tochter. Als Vereinsmann mit etlichen Ehrenämtern ist er bestens vernetzt. In den Jahrzehnten als die Stuttgarter Oberbürgermeister noch nicht grün, sondern rechtschaffen schwarz lackiert waren, hatte er eine direkte Leitung ins Rathaus – aber, und das gehört wohl zu seinem Erfolg, er wird auch heute wenig Zeit aufwenden müssen, um mit OB Fritz Kuhn einen Termin zu verabreden.

Das U-Geschäft ist einträglich, aber unberechenbar

Das Musikgeschäft war nicht sein erster Berufswunsch, obwohl er als Kind Violine lernte, im Schulorchester in den ersten Geigen saß: Gartenbauarchitekt, das hätte er sich gut vorstellen können, „wo ich doch so gern in der Natur bin“. Der „Papa“ sei ganz „geschickt“ gewesen, dass er den Buben immer mal wieder zu Konzerten mitgenommen habe, ihn hinter die Kulissen hat blicken lassen. Irgendwann siegte die Musik, vielleicht war ein Auftritt des Don-Kosaken-Chors unter der Leitung von Serge Jaroff schuld, der ihn mächtig beeindruckt hat. „Nicht unbedingt der Inbegriff der Klassik“, sagt Michael Russ. An das Konzert und dass er hinterher die Blumen überreichen durfte, daran erinnert er sich nach mehr als einem halben Jahrhundert genau. Und so nahm die Sache ihren soliden Anfang, Russ machte in Ulm eine Lehre als Musikalienhändler und trat mit 22 Jahren bei der SKS ein, das war im Mai 1967.

Das klassische Konzertgeschäft ist der Ausgangspunkt des Unternehmens gewesen, dazu kamen Künstlervermittlung und -vermarktung. Jahrzehnte war die SKS quasi der Generalunternehmer des Stuttgarter Kammerorchesters und seines Gründers Karl Münchinger. Mit Michael Russ wurde auch das Unterhaltungsgeschäft immer wichtiger. Furtwängler, Callas, Karajan, Michelangeli schön und gut, aber mit Pop, Rock und Jazz war richtig Geld zu verdienen. Russ stockte das Personal auf. Viele holte er erstmals nach Stuttgart: Jimi Hendrix, die Bee Gees, Ella Fitzgerald. Das U-Geschäft erwies sich als immer unberechenbarer. Riesensummen waren bei den Oper Airs auf dem Cannstatter Wasen im Spiel. Zwar kam Frank Sinatra 1993 auch nach Stuttgart, aber statt 7000 wollten ihn nur 5000 hören. Unternehmerisches Risiko, das schließlich 2003 zur Teilung der Konzertdirektion in SKS Erwin Russ (Klassik) und SKS Michael Russ, kurz mruss (Unterhaltung) führte. Bei einer Pleite muss ja nicht gleich das ganze Lebenswerk dran glauben.

Seit 1982 Präsident des Verbands der Deutschen Konzertdirektion

Russ ist eben nicht „verehrungssüchtig“ wie der Kollege Schreyer in München, der gerne verbal vor seinen Künstlern auf die Knie geht. Der Stuttgarter versteht sich als Serviceleister, möchte die Bedingungen für die Musiker so optimal wie möglich gestalten. Sachliches Denken, das Russ 1982 ins Amt des Präsidenten im Verband der Deutschen Konzertdirektionen führte. Jahr für Jahr wurde er wiedergewählt, jetzt im September soll Schluss sein. Pascal Funke spricht für alle im Verband: Das sei keine schöne Nachricht – und hofft, Russ überreden zu können, nochmal anzutreten.

Michaela Russ dagegen weiß genau, dass ihr Vater sich nicht umstimmen lassen wird. „Leichten Herzens“ werde er das Amt an Jüngere weitergeben. Auch so eine Tugend des Michael Russ: Beschlossen ist beschlossen. Altmodisch formuliert, nennt man das Prinzipentreue. Scheint auch eine Stärke des Vaters zu sein.