Nora Schultz hat das elegante Foyer des Kunstmuseums, eines vor drei Jahren eröffneten Baus von Volker Staab, mit hellgrauem, schon nach den Regengüssen des ersten Tages verdreckten Filz belegt, die Lichtdecke abgedimmt und eine wunderbare, wie eine Kohlezeichnung im weißen Raum wirkende Plastik von Olle Baertling aus dem Jahr 1969 am Treppenaufgang positioniert. Wo sich sonst der Notausgang des Gebäudes befindet, betritt man nun eine der Schreckenswohnungen von Gregor Schmidt. Michael Dean schließlich hat den Lichthof des Museums mit Plastikplanen verhängt, worin Gucklöcher den Blick auf skurril mutiertes Mobiliar des urbanen Straßenraums – Mülleimer, Poller, Parkuhren – freigeben. Ein paar dieser undefinierbaren Objekte hat es auf die Straße verschlagen, wo sie mit Fahrradschlössern an Laternenmasten gekettet sind.

 

Skulptur, so viel ist klar, unterliegt heute wie die gesamte Kunst einem erweiterten Gattungsbegriff, der die herkömmliche Plastik schon lange hinter sich gelassen hat (was man alle drei Jahre auch auf der Triennale Kleinplastik in Fellbach beobachten kann). Nicole Eisenmans Frühstück im Grünen ist darum nicht unbedingt repräsentativ für den Stand der Dinge, ebenso wenig wie Henry Moores klassische Skulptur „The Archer“ (1964) vor dem Landesmuseum, eine Leihgabe der Berliner Nationalgalerie. Der davor geparkte Tieflader von Cosima von Bonin und Tom Burr ist wiederum Teil der aktuellen Skulptur-Projekte und weist darauf hin, dass dieses Werk des britischen Bildhauers trotz Tonnengewicht keinen dauerhaften Platz in Münster hat. Skulptur, das kann heute das Tattoo-Studio sein, das Michael Smith am Hansaring eröffnet hat, denn der Körperschmuck ist, wenn man so will, auch Kunst im öffentlichen Raum – aber halt eine, die auf der Haut massenhaft zu Markte getragen wird. Skulptur, das können auch die Quellcodes von Andreas Bunte an verschiedenen Stellen in der Stadt sein, durch die sich Kurzfilme zu laborhaft isolierten Alltagschoreografien – rotierende Bürsten einer Autowaschanlage, flatternde Plastiktüten im Wind – auf jedem Smartphone aktivieren lassen.

Nachkriegsmoderne als Gegenpol

Öffentlicher Raum 2017 ist nicht der gleiche öffentliche Raum wie anno 1977. Inzwischen hat er sich in die digitale Sphäre erweitert, was wiederum auf den physischen Stadtraum zurückwirkt. Es mehren sich die Befürchtungen, dass in Bälde kein Mensch mehr vor die Tür geht, weil er sich alles im Internet bestellen kann, von der Pizza bis zur Schrankwand. Gerade in Münster mit seinen beneidenswert intakten Stadträumen führen einem die Skulptur-Projekte aber vor Augen, was wir aufgeben würden, wenn der soziale Raum Stadt durch die sozialen Netzwerke ersetzt würde, ob es nun der unvergleichlich charmante Zuschauersaal im Nachkriegstheaterbau von Harald Deilmann, Max von Hausen, Ortwin Rave und Werner Ruhnau ist, wo das Künstlerinnenduo Camp ein Gitter aus Kabeln gespannt hat, oder der beschwingt-barocke Erbdrostenhof, wo man den spröden Bronzeobjekten von Nairy Baghramian begegnet. Und gleich dahinter stößt man auf die Clemenskirche: noch so ein Juwel des westfälischen Backsteinbarocks.

Vieles davon ist Wiederaufbau, keine Frage. Deswegen trauen die Skulptur-Projekte dieser rekonstruierten Altstadt auch nicht ganz über den Weg – zu sehen an dem Objekt des Künstlerinnengespanns Peles Empire, das auf einem Parkplatz die Stufengiebel des Prinzipalmarkts, Münsters guter Stube, zitiert und sie mit der auf XXL-Format vergrößerten Fotokopie einer maroden Schlossfassade zugleich auf die Schippe nimmt. Ausdruck dieser Skepsis ist vor allem aber auch der neue Außenposten der Skulptur-Projekte in Marl. Die Ruhrgebietsstadt mit ihrem harten Nachkriegsmodernismus und ihren „bedeutungsarmen Funktionsräumen“, wie es im Katalog heißt, ist das genaue Gegenbild zu den altstädtischen Konsum- und Wohlfühlkulissen Münsters. Aber Marl ist deshalb nicht weniger realer Stadtraum. Vom dortigen Museum stammen Leuchtbuchstaben, die für die Dauer der Skulptur-Projekte an der Hauswand vis-à-vis dem Münsteraner Landesmuseum angebracht sind: „Angst“ lautet der gelbe Schriftzug von Ludger Gerdes (1989). Richtung Domplatz, an der anderen Ecke des Museumsgebäudes, hat John Knight eine überdimensionale Wasserwaage angebracht. Alles im Lot, gibt sie zu verstehen. Irgendwo zwischen diesen Polen findet heute die Kunst statt.