Beste Aussichten: Am Dienstag startet das Sommerfestival der Kulturen in Stuttgart. Manu Dibango betritt am Mittwoch die Bühne auf dem Marktplatz. Der 79-jährige Saxofonist im StZ-Interview.

Stuttgart – Manu Dibango (79) ist kein bisschen müde: Er kritisiert den Waffenexport nach Afrika, er misstraut den USA. Glücklich ist er darüber, dass er immer noch auf der Bühne steht.
Monsieur Dibango, in Ihrer Autobiografie schreiben Sie über Ihre Kindheit in Kamerun: „Beerdigungen fanden so schnell hintereinander statt, dass man dazwischen keine Zeit hatte, seine Kleidung zu waschen.“
Ja, damals war die Sterblichkeit bei uns sehr hoch. Es gab kaum Krankenhäuser, und wenn, dann nur in der Großstadt. Auf dem Land gab es keine vernünftigen Medikamente, keine Antibiotika. Nur sehr langsam siedelten sich Ärzte und Apotheken auf dem Land an. Kamerun war damals ein kolonialisiertes Land, und der Weg zur Unabhängigkeit dauerte seine Zeit.

Hat Sie das dauernde Sterben beeinflusst?
Naja, man war nahe am Tod dran. Die Vorstellung vom Tod war damals in Afrika eine ganz andere als in Europa. Aber meine Musik hat das nicht beeinflusst.

Als Jugendlicher wurden Sie von Ihren Eltern nach Frankreich geschickt, um dort zur Schule zu gehen. Wie haben Sie den Kulturschock verkraftet?
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat jeder nach einer glücklichen Zukunft gesucht, und ich hatte Glück, dass sich meine Eltern meine Reise nach Frankreich leisten konnten. Frankreich war dann wie eine neue Welt für mich. Es braucht eine Weile, um den Wechsel von einer schwarzen in eine weiße Gesellschaft zu verkraften. Ich hatte keine Probleme damit, mit Weißen zu leben, denn sie haben mich gemocht. Aber ich war alleine: Ich sah niemanden, der so aussieht, wie ich. Es ist nicht einfach, wenn man seine Eltern und sein ganzes Umfeld verlässt und hingeht, wo man niemanden kennt. Aber so ist das Leben. Man tut nicht immer das, was man will, sondern man muss sich auf die Situation einstellen.

Die Flucht nach Europa ist bis heute der große Traum vieler Afrikaner. Aber Europa versucht, sich abzuschotten.
So denkt sich der Westen das. Aber als erstes sind die Europäer nach Afrika gekommen. Jeder will ins Paradies. Ihr habt uns alles genommen: Öl, Holz, Elfenbein – und habt fast nichts dafür bezahlt. Und hinterher wollt ihr die Grenzen schließen? Das ist schwierig, denn stellt euch vor, wir würden unsere Grenzen auch schließen – was macht ihr dann mit all euren Autos ohne Öl und Benzin? Wenn Europa die Afrikaner loshaben will, schadet es sich selbst.

Sind Sie der Meinung, Europa würde Afrika immer noch kolonialisieren?
Natürlich, weil ihr Waffen produziert und sie verkauft. Oder ihr schenkt sie uns, und dann bekriegen sich Afrikaner untereinander. Erst schenkt ihr sie uns, und beim zweiten Mal kommt ihr, um etwas mitzunehmen. Ich glaube nicht an Geschenke. Irgendwo muss man immer bezahlen.