Die afrikanische Band Sierra Leone’s Refugee All Stars hat beim Sommerfestival der Kulturen in Stuttgart gespielt – ein starkes Konzert der einstigen Flüchtlinge. Derzeit wird ihr Heimatland vom Ebolavirus heimgesucht, aber Frontmann Reuben Koroma hält nichts vom Aufgeben.

Stuttgart - Hinten in der Hirschstraße, wohin sich der Kunsthandwerk-Markt des Sommerfestivals der Kulturen in diesem Jahr erstreckt, verkauft jemand Alltagsgegenstände aus Abfall: Die Stühle, Lampenschirme und Handtaschen aus Kronenkorken stammen aus dem Senegal. Die Errungenschaften der angeblich Ersten Welt, Coca-Cola und Fanta, kehren über den Umweg der so genannten Dritten Welt zurück in die Sphären des Überflusses.

 

So ähnlich, aber doch an entscheidenden Stellen anders geht auch die Geschichte der Reggaemusik: Ende der Sechzigerjahre bewerkstelligten in den Ghettos der Karibikinsel Jamaika die Nachfahren aus Afrika verschleppter Sklaven mit importieren Instrumenten aus den USA die Afrikanisierung der Ska-Musik. In den Jahrzehnten danach eroberte der Reggae von Jamaika aus die Welt: Europa und die USA als Soundtrack zur Selbstfindung, vor allem aber Afrika als Soundtrack der Befreiung – eine der erstaunlichsten Erfolgsgeschichten der Pophistorie. Es gibt inzwischen kaum eine afrikanische Band, die nicht zumindest ein paar Takte oder gleich ein paar Songs Reggae in die traditionelle Highlife-Musik einflicht.

Reich aber gleichzeitig arm

Auch die Sierra Leone’s Refugee All Stars verfahren auf dem Stuttgarter Marktplatz so. „Rich but poor“ heißt ihr Song beim Sommerfestival der Kulturen, der davon handelt, dass die Menschen im westafrikanischen Sierra Leone in Armut leben, obwohl ihr Land so reich an Bodenschätzen ist. „So viel Talent, aber die Leute sind arbeitslos“, singt Reuben Koroma, der Gründer und Frontmann der Band, während der Bass pumpt, das Schlagzeug schnalzt, die Gitarre, die in anderen Songs fein ziselierte Ornamente gebiert, unbeirrt geradeaus strebt, und verwunschen schöner Chorgesang mögliche Harmonie feiert.

„Nicht nur die Kolonialherren haben uns ausgebeutet“, erklärt Reuben Koroma nach seinem mitreißenden Konzert hinter der Bühne, „auch unsere eigenen Brüder beuten uns aus“. Die Wurzel allen Übels sei die Gier, sagt er, „Gier gebiert Korruption“. Seine eigene Geschichte und die seiner Band sind ähnlich abenteuerlich wie jene des Reggae: 1997 musste Reuben Koroma aus dem damaligen Bürgerkriegsland Sierra Leone in ein Flüchtlingslager im Nachbarland Guinea fliehen: „Ich litt, als ich im Flüchtlingslager ankam“, erzählt er, „ich war ein trauriger Mann, getrennt von meiner Familie und meinem Land.“ Gemeinsam mit weiteren Flüchtlingen gründete er seine Band im Lager. „Wir unterhielten andere Flüchtlinge“, erinnert er sich, „die Musik hat ihnen und uns geholfen, das Elend zu vergessen“. Zwei amerikanische Dokumentarfilmer verhalfen der Band zu internationaler Berühmtheit und brachten die Musik aus dem Flüchtlingslager auf große Bühnen in den USA und Europa.

Ebola ist wie Salz in einer frischen Wunde

Die Musik, die die Sierra Leone’s Refugee All Stars in Stuttgart (und auch auf ihrem grandios prallen vierten, „Libation“ betitelten Album) spielen, ist fröhlich, ausgelassen, lebensbejahend. Es ist Musik, bei der der Bassist zwischendurch ein fulminantes Conga-Solo kredenzt, während der Keyboarder als rhythmischer Vorantreiber einspringt. Es ist Musik, die Liebesgeschichten aus der Teenagerzeit ganz selbstverständlich mit derselben Leidenschaft erzählt, mit der sie gegen Unterdrückung aufbegehrt. Es ist Musik, die die Verspieltheit des Highlife mit der wuchtigen Klarheit des Reggae anreichert und dabei strotzt vor Energie. Drei Sänger sind voll beschäftigt. „Are you happy?“ ruft Reuben Koroma aufmunternd ins Publikum.

Hinter der Bühne sagt er, dass niemandem geholfen sei, wenn man traurigen Leuten traurige Songs vorspiele: „Wir sind hier, um erhebende Musik zu spielen!“ Derzeit wird sein Heimatland vom Ebolavirus heimgesucht. „Diese Krankheit können wir nur dann besiegen, wenn uns die Welt dabei hilft“, sagt Reuben Koroma. Ebola in seinem Land, das immer noch dabei ist, sich vom Bürgerkrieg zu erholen, das sei „wie Salz in einer frischen Wunde“. Aber Reuben Koroma hält nichts vom Aufgeben, nicht für sich und seine Band, nicht für sein Land: „Die Mentalität der Leute dort, wo ich herkomme, ist sehr positiv. Zuversicht ist der richtige Weg.“