Sie meiden Kontakte aus Angst vor Kritik, sie geraten in Gefahr, in Alkoholsucht abzugleiten: Menschen mit sozialer Phobie kann geholfen werden. Wie, das war Thema einer Tagung über psychosomatische Medizin in Heidelberg.

Stuttgart - Psychische Störungen waren nach Angaben des „Stressreports Deutschland“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2012 für 53 Millionen Krankheitstage verantwortlich. Von den Frührentnern verzichteten 41 Prozent aus Sorge um ihr seelisches Wohlergehen auf den Job. Nicht selten ist dafür eine soziale Phobie verantwortlich. Neben Depressionen und Alkoholabhängigkeit zählt die Angst vor Menschen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland.

 

Wer an einer sozialen Phobie leidet, ist nicht einfach nur schüchtern. Die Angst vor dem negativen Urteil der Mitmenschen hat dann ein Ausmaß angenommen, dass der Umgang mit anderen auf ein Minimum reduziert wird; in schweren Fällen selbst der mit engen Bezugspersonen. Zehn Millionen Menschen in Europa sind betroffen. Damit ist die soziale Phobie die am häufigsten auftretende Angststörung. Folge der mehr oder weniger freiwilligen Selbstisolation sind nicht selten Depressionen und Alkoholmissbrauch. Es droht also die psychische Abwärtsspirale.

„Weltweit größte Untersuchung“

Wegen ihrer Häufigkeit zählt das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Soziale Phobie zu den Volkskrankheiten. Deren Erforschung wird speziell gefördert. Seit 2006 wurden rund fünf Millionen Euro in einen Forschungsverbund gesteckt, in dem sich Medizinern und Psychologen zur Aufgabe machten, die Chancen einer psychotherapeutischen Behandlung sozialphobischer Angststörungen auszuloten. Die Ergebnisse von Sophonet, so der Name des Verbundes, wurden jetzt auf einem Psychosomatik-Kongress in Heidelberg der Fachöffentlichkeit vorgestellt.

Das Sophonet-Forscherteam um den Gießener Psychotherapieforscher Falk Leichsenring konnte nachweisen, dass eine gezielte Psychotherapie eine soziale Phobie in mehr als der Hälfte der Fälle dauerhaft heilen kann. Um diesen Nachweis zu führen, habe man „einen immensen Aufwand auf sich genommen“, so Leichsenring in seinem Vortrag auf dem Kongress. „Es handelt sich um eine der weltweit größten Untersuchungen dieser Art.“

Zunächst habe man von 1450 Patienten diejenigen ausgewählt, bei denen die soziale Phobie tatsächlich als Hauptstörung gewirkt und nicht die Folgeerscheinung einer anderen Erkrankung gewesen sei. Das sei bei 459 Patienten der Fall gewesen. Anschließend habe man die Sozialphobiker per Losverfahren drei unterschiedlichen Behandlungsarten zugeteilt. Dieser Aufwand sei nötig gewesen, damit die Ergebnisse die höchste Geltungsstufe erreichen, „die 1-A-Evidenz“, erklärt Leichsenring.

Das bloße Abwarten auf Selbstheilung erwies sich als die am wenigsten effektive Umgangsweise mit der sozialen Angst. „Zeit heilt offenbar nicht alle Wunden“, sagte Leichsenring. Heilungserfolge erzielten hingegen zwei verschiedene Therapieverfahren. Das eine davon, die sogenannte kognitive Therapie, baut auf eine rationale und handlungsorientierte Beschäftigung mit den Symptomen, das zweite Verfahren, die psychodynamische Therapie auf ein Verständnis der dem Leid zugrunde liegenden psychischen Konflikte (siehe Infobox). Die Patienten sprangen auf beide Behandlungsarten gleichermaßen an. Zudem führten beide zu Heilungserfolgen, die zeitlich stabil waren. Ehemalige Sozialphobiker wurden in einem Zeitraum von zwei Jahren nicht rückfällig.

In einigen Punkten erwies sich allerdings die kognitive Therapie als überlegen. So war sie schneller wirksam als die psychodynamische Variante. Und direkt nach der Behandlung bestand kurzzeitig ein „kleiner signifikanter Vorsprung, was den Therapieerfolg angeht“, sagte Leichsenring. Dieser Vorsprung sei freilich innerhalb der nächsten sechs Monate verschwunden. Mittelfristig wiesen beide Behandlungsmodelle die gleiche Wirksamkeit auf.

Abgrenzung zur pharmakologischen Therapie

Einen Seitenhieb auf Therapieansätze, die allein auf Medikamente setzen, wollte Leichsenring sich nicht verkneifen: „Dass es zur Langzeitwirkung in der Pharmaforschung keine Untersuchungen gibt, ist kein Zufall. Der langfristige Erfolg ist der große Vorteil der Psychotherapie.“ Gerade im Zusammenhang mit sozialen Ängsten hatte zuletzt ein Medikament auf sich aufmerksam gemacht. Ein Nasenspray mit der als „Kuschelhormon“ apostrophierten Substanz Oxytocin versprach Sozialphobikern eine schnelle Linderung ihres Leids.

Solche Abgrenzungen von anderen Therapieformen waren auf dem Kongress häufiger zu hören. Hintergrund ist, dass die psychosomatische Medizin teilweise in Konkurrenz zu der eher pharmakologisch orientierten Psychiatrie steht. Und während die Psychiatrie sich auf eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition berufen kann, ist die Psychosomatik erst seit gut zwanzig Jahren als eine eigenständige medizinische Disziplin etabliert. Wissenschaftlich akzeptierte, sogenannte evidenzbasierte Nachweise der Wirksamkeit der eigenen Therapiemodelle schienen auch deshalb auf dem Kongress im Vordergrund zu stehen.

Lücken in der psychosomatischen Betreuung

Das genuine Feld der psychosomatischen Medizin ist die Wechselwirkung von körperlichen und seelischen Erkrankungen. Den typischen Fall erläutert der Ärztliche Direktor der Heidelberger Klinik für Innere Medizin und Psychosomatik, Wolfgang Herzog: „Wenn eine junge Maus eine Depression entwickelt, dann können mechanische Zusammenhänge dazu führen, dass sie später an einem Herzleiden stirbt.“ Herzog hält den Ausbau des Angebots an psychosomatischer Therapie für dringend geboten: „Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation haben gezeigt, dass es erhebliche Behandlungslücken gibt. Denn 19 Prozent der Erwachsenen leiden an einer gleichzeitig körperlichen und seelischen Störung.“

Rund 6000 Fachärzte für Psychosomatik gebe es mittlerweile in Deutschland, ergänzte Johannes Kruse, Ärztlicher Direktor der Kliniken für Psychosomatik und Psychotherapie in Gießen und Marburg. In den Krankenhäusern sei die psychosomatische Medizin mittlerweile „strukturell gut verankert“, so Kruse weiter. Die Zahl der auf sie spezialisierten Praxen wachse.

Damit die psychosomatischen Leiden wirksam behandelt werden können, müssten allerdings solche Praxen auch aufgesucht werden. Die Erfahrung zeige aber, so Kruse, dass „der Weg von der somatischen zur psychotherapeutischen Behandlung weit ist“. Das weiß er aus eigener Erfahrung. Zusammen mit anderen Forschern konnte er nachweisen, dass sich Psychotherapien positiv auf den Blutzuckerspiegel einiger Diabetiker auswirken. Denn sie beugen stressbedingten Anstiegen vor. Damit diese Einsicht nicht Theorie bleibt, „gehen wir jetzt selbst in die Praxen“, sagte er.

Dass es keinen Therapieerfolg ohne Therapie geben kann, gehört wohl zu den zentralen Dilemmata der sozialen Phobie. Wer seine Angst vor Menschen verlieren möchte, muss zunächst die vor dem Therapeuten überwinden; dass sich das lohnt, hat die Heidelberger Tagung bekräftigt.

Therapiemodelle

Kognitiv
Die Grundannahme der kognitiven Verhaltenstherapie sagt: Unsere subjektive Sicht der Dinge ist entscheidend für unser Verhalten und Gefühlsleben. Der Therapeut hinterfragt gemeinsam mit dem Patienten dessen Wahrnehmungsgewohnheiten. Therapieziel ist die Entwicklung von Handlungsmustern, die Alltag und Berufsleben erleichtern. Die Therapie dauert gewöhnlich 15 bis 25 Sitzungen.

Psycho-dynamisch
Der Fokus der psycho-dynamischen Therapie liegt auf dem „Durcharbeiten“ unbewusster Probleme. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass das Leidenssymptom hintergründig mit ungelösten Beziehungskonflikten in Verbindung steht. Die Therapie zielt darauf, den Zusammenhang von Symptom und Konflikt bewusstzumachen. Sie gilt als aufwendiger als die kognitive Variante.