Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)
War das je anders? Spielen in der Pubertät nicht immer schon andere Dinge eine Rolle als Wandern, Gärtnern und Pflanzen anschauen?
Das stimmt. Aber spätestens mit 20, 25 Jahren erwachte das Naturempfinden wieder. Das ist nach Ausweis der Freizeit-Statistiken jetzt nicht mehr in dem Maße der Fall, weil man als Kind keine hinreichende Beziehung zur Natur aufbauen konnte.
Was Kinder nicht wissen, wissen Erwachsene erst recht nicht. Glauben Sie, dass das Naturwissen der Eltern sehr viel besser ist als das ihrer Kinder? Ich habe da meine Zweifel.
Völlig richtig. Das reine Schulwissen ist schnell wieder weg, weil die dazugehörige Erfahrung fehlt. Entscheidend ist, was man im Alltag wahrnimmt. Nur das kann man dann auch an die eigenen Kinder weitergeben. Immerhin hat uns eine Mehrheit der Kinder noch versichert, sie würden ihre Freizeit am liebsten im Grünen verbringen.
Was sie aber in der Praxis nicht wirklich tun . . .
. . . und häufig auch nicht können, weil Zeit und Gelegenheit fehlt. Die Aufmerksamkeit, die sie dem Grünen widmen, ist mehr oder weniger reduziert auf eine wunderschöne Kulisse. Schon Kinder bringen wie Erwachsene eine Art Genießer-Einstellung und nicht mehr eine Entdecker-Einstellung mit.
Haben Sie Ratschläge parat, wie man das Naturbewusstsein bei Klein und Groß fördern kann?
Das ist ganz schwierig. Von Pädagogen höre ich immer den Vorwurf, ohne pädagogische Verbesserungsvorschläge sollten wir eine solche Studie erst gar nicht veröffentlichen.
Da ist was dran.
Anstatt immer gleich nach Lösungen zu suchen,müssen wir doch erst einmal zur Kenntnis nehmen, was Sache ist. In Großbritannien und den USA, wo der Mangel an kindlichen Naturerfahrungen der Öffentlichkeit sehr viel mehr Sorge Naturerlebens eine sehr viel größere Rolle als bei uns spielt, ist man bestrebt, die Kinder zuallererst wieder in die Natur zu bringen, ohne ihnen gleich Grenzen zu setzen. Bei uns lernen die Kinder dagegen schon in frühem Alter, dass man in der Natur nur Gast ist und auf sie Rücksicht zu nehmen hat.
Also mehr rumtollen, einsauen, den Entdecker ins sich entdecken?
Dafür plädieren wir. Der Biologe und Publizist Andreas Weber hat das in einem Beitrag für das Magazin „Geo“ einmal sehr schön beschrieben. Er plädiert für das „wilde Kind“ und das „Kinderecht auf Freiheit“.
Das hören überbesorgte Eltern aber gar nicht gern.
Viele Eltern haben Angst, ihre Kinder einfach frei laufen zu lassen. Die Angst vor dem bösen Mann im Wald, der ihnen auflauert, ist in den USA und Großbritannien noch sehr viel stärker ausgeprägt als bei uns. Offenbar setzen sich Eltern auch wechselseitig unter Druck: Wie kannst du nur dein Kind auf einen Baum klettern lassen oder ohne Aufsicht in den Wald gehen lassen? Das ist unverantwortlich!
Und was raten sie solchen Helikopter-Eltern?
Lasst Kindern mehr Freiraum! Mutet ihnen mehr zu! Draußen kann sehr viel weniger passieren, als man denkt, Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl gravierender Vorfälle kontinuierlich ab.
Woher kommen diese Ängste?
Viele Erwachsene haben mittlerweile selbst eine große Distanz zur Natur. Sie sehen Natur nur als Gegenüber, als Kulisse. Sie fühlen sich aber nicht mehr selber als Bestandteil dieser Natur. Sofern man sich nicht mehr zu Hause fühlt, ist man automatisch vorsichtiger und ängstlicher.

Zur Person

1943 geboren in Brandenburg

 

1963-1969 Studium der Physik an der Universität Marburg

1969-1973 Wissenschaftlicher Assistent für Experimentelle Physik an der Universität Ulm

Seither Studien zur Soziologe des naturwissenschaftlichen Unterrichts, des Wanderns und des Verhältnisses von Jugendlichen zur Natur

1997 1. Jugendreport Natur „Naturverklärung“, dem sechs weitere Reports folgen sowie die Website www.natursoziologie.de

1997 1. Jugendreport Natur „Naturverklärung“, dem sechs weitere Reports folgen sowie die Website www.natursoziologie.de

2004 Mitbegründer und erster Vorsitzender des Deutschen Wanderinstituts

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