Die SPD hat beantragt, die Sitzungen mit Kameras aufzuzeichnen und ins Internet zu stellen. Aber der Datenschutz und die Kosten sprechen dagegen – und die Mehrheit der Räte. In Baden-Württemberg sind bislang nur zwei Kommunen so fortschrittlich.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Jürgen Kienle will nicht „weltweit verrissen werden“. Erst recht nicht bei „dem kärglichen Sitzungsgeld“, das er als CDU-Stadtrat in Böblingen erhalte. Vom Antrag der SPD, das Geschehen im Gemeinderat per Livestream ins Internet zu übertragen, hält er entsprechend wenig. Bei sinkender Wahlbeteiligung und steigender Politikverdrossenheit, sei es notwendig, die Kommunalpolitik den Bürgern näher zu bringen, hatten die Sozialdemokraten argumentiert. Nur den wenigsten Menschen sei es möglich, an den Sitzungen persönlich teilzunehmen. „Herr Wahl ist Berufspolitiker, er lebt davon, dass er sich öffentlich produziert und Preis gibt“, vermutete dagegen Jürgen Kienle als Motivation hinter dem Antrag der SPD und ihres Fraktionsvorsitzenden Florian Wahl, der seit 2011 auch im Stuttgarter Landtag sitzt.

 

Strenger Datenschutz

Vor allem die Bestimmungen des Datenschutzes schreckten die Stadtverwaltung und die Mehrheit der Stadträte vom Schritt ins Internet ab. Denn im Unterschied zu Bundes- und Landtagsabgeordneten sitzen die Kommunalpolitiker in einem Feierabendparlament – „nicht, weil sie nichts tun, sondern weil sie es ehrenamtlich tun“, sagte der Hauptamtsleiter Achim Schröter in der Sitzung des Gremiums am Mittwoch. Ihr Recht am eigenen Bild werde höher angesiedelt als das eines Berufspolitikers. Und das bedeutet, dass jeder, der auf dem Film zu sehen ist, um ein schriftliches Einverständnis gebeten werden muss. Und die Zuschauer dürften beispielsweise überhaupt nicht aufgenommen werden.

Auch der Deutsche Städtetag sieht die weltweite Öffentlichkeit kritisch. Live-Übertragungen im Internet könnten dazu führen, dass sich Ratsmitglieder eingeschüchtert fühlten und nicht mehr zu Wort meldeten, warnt der Verband. Nicht außer Acht zu lassen seien außerdem die möglichen Manipulationen von Film- und Tonaufnahmen im Internet. Darüber hinaus kostet das Angebot Geld. Um alle Protagonisten ins Bild zu bekommen, müssen mehrere Kameras im Sitzungssaal filmen. Nur eine Firma könnte das Material danach in Form bringen, erklärte der Hauptamtsleiter, was fast 50 000 Euro im Jahr kosten würde. „Die Idee hat Charme“, befand Achim Schröter, „aber für die Verwaltung überwiegen die Minuspunkte.“

Nur zwei Gemeinderäte zeigen sich im Internet

In Baden-Württemberg zeigen sich bislang nur zwei Gemeinderäte mit bewegten Bildern im Internet. Das Dorf Seelbach im Ortenaukreis ist seit 2004 der Pionier, Konstanz ging im Januar 2014 online. Am Bodensee hatte ebenfalls die SPD den Antrag dafür gestellt. Mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes hat die Stadt nach Anfangsschwierigkeiten ein Konzept entwickelt. Drei Kameras zeichnen die Sitzungen auf, für jeden Tagesordnungspunkt wird daraus ein kleiner Film geschnitten. Die Clips sind meist am folgenden Werktag im Netz – aber nur bis zum Mittag des nächsten Tages und vorausgesetzt, dass alle Beteiligten damit einverstanden sind. Für den Oberbürgermeister stärkt der Aufwand die kommunale Demokratie: „Es geht darum, dass nachvollziehbar ist, was warum wie entschieden wurde“, erläuterte Uli Burchardt in einer Mitteilung der Stadt. Ihrer Information zufolge klicken im Schnitt 5500 Bürger die Clips an.

Martin Decker von der Böblinger SPD bedauerte, dass die Stadt „immer noch ein analoger Raum für Taten und Talente“ sei. Mehr Öffentlichkeit mahnte sein Fraktionskollege Wolfgang Hensel an: „Wir wollen ein Wir-Gefühl erzeugen.“ Zwar kam die Idee nicht bei allen Räten so schlecht an wie bei Jürgen Kienle. Sein CDU-Kollege Marc Biadacz forderte etwa, in ein paar Jahren noch einmal das Thema anzugehen. Doch ohne eine gesicherte Nachfrage aus der Bürgerschaft wollte die Mehrheit die Investition nicht wagen. „Ich schalte Phoenix nicht einmal ein, wenn ich Grippe habe“; sagte Daniel Wengenroth über den öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal, der die Bundestagssitzungen überträgt.