Die SPD warnt erstmals offen vor einem Bruch der Koalition. Und Brieffeindschaften haben Hochkonjunktur. In der Koalition liegen die Nerven blank.

Berlin - Die Lage in der Koalition spitzt sich zu, die Nerven liegen blank. In der Union werden Briefe hin und hergeschickt, Drohungen, Mahnungen. Zustände sind das, die zuletzt immer häufiger in beiden Lagern intern mit dem Wort „Regierungskrise“ umschrieben wurden. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann flüchtete zu Beginn der Sitzung der SPD-Bundestagsabgeordneten zunächst für einen kurzen Moment in Sarkasmus. Szenen einer gescheiterten Ehe seien bei der Union zu beobachten, sagte er. Wenn man sich nichts mehr zu sagen habe, schreibe man sich Briefe. Soweit so schlecht.

 

Aber „wenn man klagt, dann ist es vorbei“, sagte Oppermann. Was CSU-Chef Horst Seehofer da in seinem Brief ans Kanzleramt niederschrieb, die Drohung Bayerns gegen eine Regierung, an der die Staatspartei CSU selbst beteiligt ist, sei nichts anderes als die „Ankündigung des Koalitionsbruchs“. Die „täglichen Querschläger“ seien „unerträglich“. So etwas habe es „in Deutschland noch nie gegeben.“

Das Asylpaket II ist immer noch nicht beschlossen

So hart hat öffentlich bisher noch keiner aus den Reihen der SPD die andauernde Kritik aus München an Merkels Kurs und die schrittweise Eskalation des Unions-Streits kritisiert. Vor allem steht mit Oppermanns Ausspruch jetzt erstmals im Raum, was im Grunde alle fürchten: das Ende dieser Koalition in schwierigen Zeiten – mit unabsehbaren Folgen für die Regierungsparteien.

Der Frust der Genossen und ihre verschärfte Tonlage hat sicher auch mit den katastrophalen Umfragewerten in jenen Ländern zu tun, in denen demnächst Wahlen anstehen. Gerade mal 15 Prozent sollen es in Baden-Württemberg noch sein, die der SPD die Treue halten. Vor allem aber ist man bei der SPD ratlos, wie denn angesichts des Tänzchens am Abgrund, zu dem Seehofer die Kanzlerin bittet, nun überhaupt noch Lösungen möglich sind. Beispiel Asylpaket 2. Seit November im Grundsatz vereinbart, ist die konkrete Umsetzung der Aussetzung des Familiennachzugs für eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen noch immer nicht beschlossen. Angeblich haben Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel sich bereits auf einen Kompromiss geeinigt. Aber Seehofer spiele auf Zeit, habe sich Bedenkzeit erbeten. So reden sie bei der SPD und so wird es von der Union im Grunde mittlerweile bestätigt. Der Knoten soll nun endgültig am Donnerstag durchschlagen werden, wenn sich die drei Parteichefs in Berlin bei einem Spitzentreffen tief in die Augen blicken.

Kauder: 2016 wird zum Schicksaljahr

In der SPD-Spitze steht man vor einem Dilemma. Keiner will ernsthaft Merkel stürzen sehen und die Koalition platzen lassen. Auch ist sich die Führung einig darin, dass die Dauerlähmung der Koalition Wasser auf die Mühlen der AfD ist. Den Eindruck, der Staat sei handlungsunfähig, will Gabriel unter allen Umständen verhindert. Andererseits kann sich die SPD auch nicht jeden Tag unwidersprochen vorwerfen lassen, sie sei es, die einer Einigung im Wege stehe. Deshalb hat Gabriel bereits vor einigen Tagen nach einer Vorstandsklausur seiner Partei von Merkel Führung eingefordert. Sie sei letztlich verantwortlich für alle weiteren Schritte. Mittlerweile äußert er sich wieder deutlich moderater, betont die Gemeinsamkeiten mit Merkel. Ihr politisches Ende will er nicht. Er weiß, dass von diesem Strudel das Land, die SPD und damit auch er selbst erfasst würden.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat den Ernst der Lage ebenfalls erkannt. Vor der Fraktionssitzung wählte er pathetische Worte. 2016 werde zu einem „Schicksaljahr für Europa und zu einem Schicksaljahr für unser Land“, sagte er. Er appelliere deshalb „an alle in dieser große Koalition, abzurüsten, verbal, und sich darauf zu besinnen, dass Lösungen kommen“. Die Bevölkerung sei in der Flüchtlingskrise verunsichert und erwarte nun Antworten der Regierung.