Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Um dieses Ziel zu erreichen, hat Mantle im vergangenen halben Jahr landauf, landab seine Cricket-Starter-Sets per Post verschickt. Bei Vereinen im In- und Ausland ist er Klinkenputzen gegangen und hat ausrangierte Schläger, Polster, Trikots und Schuhe zusammengetragen. Manchmal gab es auch neue Sachen. Zum Hamburger SV, zu den Fußballern von Wackerburghausen oder zu den Reinickendorfer Füchsen nach Berlin hat er Pakete geschickt. 400 sind es insgesamt geworden. In Delmenhorst, Bremen, Wiesbaden, Pfaffenhofen, Stuttgart, Ludwigsburg und an vielen anderen Orten spielen sie jetzt mit diesen Utensilien. Und seit ein paar Tagen kann Mantle endlich auch wieder in seiner Garage parken. Dort hatte er die Spenden gelagert.

 

Drei Stunden trainiert er mit den Jungs der Blue Tigers. Das ist kurz. Cricketspiele können sich über mehrere Tage ziehen und dann auch noch unentschieden ausgehen. Groß und stämmig und mit einem einladendem Lächeln steht Mantle in der Turnhalle. Er trägt das rote Trikot der deutschen Cricket-Nationalmannschaft zur schwarzen Trainingshose. Durch seine Kinder, die beim DJK Essen-Altendorf 09 Handball spielen, ist er zum Verein – und dann ist eins zum anderen gekommen. Denn der gebürtige Brite aus Shrewsbury weiß einfach besser als jeder andere, wie sich echte Cricket-Leidenschaft anfühlt. Er weiß, wie es ist, wenn es einen auf das Spielfeld zieht – und keines da ist. Und er weiß, wie es ist, wenn überhaupt niemand auf die Idee kommt, dass Cricket ein Sport ist, der so attraktiv wie Fußball sein kann.

In Afghanistan und Pakistan ist Cricket Volkssport

Und so hat Mantle vor gut fünf Jahren nicht lange nachdenken müssen, als er einen Anruf aus einem Flüchtlingsheim bekam. Ein umsichtiger Jugendbetreuer hatte sich Gedanken gemacht, als er immer wieder den Raum aufschließen musste, in dem der Computer mit Internetzugang stand. Es war Cricket-WM und seine jugendlichen Schützlinge hatten nur einen Wunsch: sie wollten zu jeder Tages- und Nachtzeit verfolgen, wie die Mannschaften um den Meisterschaftstitel kämpften. Denn zu Hause in Afghanistan und Pakistan hatten sie alle selbst Cricket gespielt.

„Cricket ist wie eine zweite Religion“, sagt Avif Jamal und wundert sich noch immer ein wenig darüber, die Sportart überhaupt erklären zu müssen. Cricket sei einfach spannend, setze Teamwork und Konzentration voraus, und der ganze Körper sei in Bewegung. Avif war einer von denen, die damals im Jugendheim nicht lockergelassen haben. Heute hält er die Blue Tigers zusammen, bringt Neuankömmlinge mit, hat in der deutschen Nationalmannschaft gespielt, hat Auszeichnungen für sein Engagement bekommen und spricht perfekt Deutsch. Bald wird er das Abitur in der Tasche haben. Nur mit seinem jüngeren Bruder Kilal ist Avif 2010 aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Schüchtern war er. „Avif hat durch den Sport enorm an Selbstbewusstsein gewonnen“, sagt Mantle. Die beiden sind längst Freunde. Sie verstehen sich fast ohne Worte. Cricket ist ihre gemeinsame Sprache.