Die Bulgarin Tamara Neykova dolmetscht in Schulen und in Kindergärten – im Auftrag der Stadt. In Backnang gibt es rund 30 ehrenamtliche Sprachbegleiter. Die Kommune sucht weitere Hobby-Dolmetscher.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Ein Vater aus dem EU-Mitgliedsland Bulgarien findet einen Job in Deutschland und bringt die ganze Familie mit nach Backnang. Keiner der Neuankömmlinge spricht ein Wort Deutsch. Die Kinder müssen, beziehungsweises dürfen vom ersten Tag in der neuen Heimat an eine Schule besuchen – und die Schwierigkeiten beginnen. Oft sind alle überfordert, die Kinder, die Eltern, die Lehrer, die Erzieherinnen.

 

In solchen Situationen wird Tamara Neykova zur Retterin. Die 62-jährige Anglistin lebt seit 1999 in Backnang und engagiert sich ehrenamtlich als sogenannte Sprachbegleiterin. In Backnang, sagt die gebürtige Russin, lebten viele Bulgaren, deshalb habe sie immer wieder viel zu tun. Manche Eltern seien Analphabeten, viele Neuankömmlinge kämen mit der Lebensweise der Menschen in Deutschland zunächst nicht zurecht – sie bräuchten Hilfe, zuallererst bei der Verständigung.

„Es gibt Probleme ohne Ende“

Sie müsse mitunter einfache Sachverhalte erklären, zum Beispiel, dass die Schule um 7.55 Uhr beginnt, nicht um 8 Uhr, dass Pünktlichkeit wichtig sei in Deutschland. Tamara Neykova begleitet kleine und große Patienten zum Arzt oder ins Krankenhaus. Sie ist oft in Schulen, berät ihre Landsleute in allen möglichen und unmöglichen Situationen. Es gebe „Probleme ohne Ende“, sagt sie und erklärt, dass sie gerne helfe, sie habe viel Freizeit – und einen reichen Erfahrungsschatz hat sie auch.

Aufgewachsen ist die Backnangerin in der Sowjetunion. Sie hat von 1972 bis 1977 an der Lomonossow-Universität in Moskau Englisch studiert. Während des Studiums lernte sie ihren heutige Mann kennen, den Bulgaren Valentin Neykov. Später haben die beiden mit ihren Kindern in der Stadt Lowetsch in Bulgarien gelebt. Der Umzug von der Metropole Moskau in das Städtchen 150 Kilometer nördlich von Sofia dürfte ein erster Kulturschock gewesen sein, weitere große Veränderungen folgten. Ihr Mann arbeitete in der Informationstechnik, sie war Lehrerin. Bulgarisch, sagt Tamara Neykova, habe sie schnell und leicht gelernt.

1989 kam der große Umbruch: vom Kommunismus in die Anarchie und dann in die Demokratie – so erzählt Neykova die jüngere bulgarische Geschichte in der Kurzfassung. Vor 1989 lebten rund neun Millionen Menschen in Bulgarien, heute sind es nur noch etwa sieben Millionen. 1999 beschloss die Familie, das Land zu verlassen. Zunächst hätten die Auswanderer an Australien, Kanada oder die USA gedacht – schließlich landete das Ehepaar mit den zwei Töchtern aber in Backnang. Valentin Neykov fand dort einen Job. Er ist jetzt 65 Jahre und arbeitet in Karlsruhe. Die Kinder sind längst erwachsen, eine Tochter lebt in Deutschland, die andere in Griechenland.

Interessenten können sich bei der Stadt melden

Richtig gut Deutsch spreche sie erst, seit sie an der Volkshochschule den Kurs „Deutsch als Fremdsprache“ besucht habe, sagt Tamara Neykova. Wenig später wurde sie dann beim Frauenfrühstück angesprochen: ob sie sich vorstellen könne, ehrenamtlich als Sprachbegleiterin zu arbeiten.

Seither wird Tamara Neykova regelmäßig von der kommunalen Integrationsreferentin Ulrike Ferenz-Gröninger angerufen, wenn es mal wieder gilt, in einer Schulen, in einem Kindergärten oder wo auch immer die Sprachlosigkeit zu überwinden.

Info: In Backnang engagieren sich etwa 30 Sprachbegleiter. Die Stadt sucht weitere für Albanisch, Arabisch, Bulgarisch, Griechisch, Rumänisch und andere Sprachen. Wer Interesse hat, kann sich melden: 0 71 91/ 89 43 69.