Er war kein Ökonom, kein Politikwissenschaftler, kein Analytiker, der die Anpassung an die Moderne hätte gestalten können. Was er besaß, war ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, das ihm signalisierte: da sind die Dinge aus dem Lot geraten, da musst du dich wehren. Hessel tat es dann auf seine Art. Hellwach, freundlich, gelassen, seine Worte mit feiner Ironie würzend, stets bemüht, schwach flackernden Widerstandsgeist anzufachen, Zuhörer zur Zivilcourage zu ermutigen. Hinzu kam die Überzeugung, dass die Mühe des Aufbegehrens lohnt. Der Spross einer jüdisch-protestantischen Familie, von den Nazis ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und gefoltert, war ein lebensfroher Optimist. So sehr er sich an den Missständen der Welt störte, so sehr freute er sich zugleich an ihrer Schönheit. Jeden Moment konnte dieses Lächeln aufscheinen, das zu besagen schien: Nein so etwas, ist dieses Leben nicht aufregend, lustig, seltsam?

 

An den Dalai-Lama erinnerte Hessel, der Tiefgang und Leichtigkeit ebenfalls mit großer Selbstverständlichkeit zu verbinden weiß. Im vergangenen Dezember hatten sich die beiden in Prag getroffen und über Gewaltlosigkeit debattiert. Sichtlich beglückt über die Begegnung mit dem tibetanischen Religionsführer war Hessel nach Paris zurückgekehrt. Er hatte jemanden getroffen, der ebenfalls weniger mit Argumenten überzeugt als mit untadeliger Lebensführung, integerer Persönlichkeit – mit seinem Menschsein eben.

1941 schließt sich Hessel dem Widerstand um de Gaulle an

In Berlin war Hessel während des Ersten Weltkriegs 1917 zur Welt gekommen, als zweiter Sohn der lebensfrohen Malerin Helen Grund und des Schriftstellers Franz Hessel. Als Siebenjähriger zieht der Junge mit der Mutter nach Paris, wo er in Künstlerkreisen aufwächst, bald zweisprachig wird und sich zwölf Jahre später einbürgern lässt. 1941 schließt er sich in London den Widerstandskämpfern um General de Gaulle an, kehrt mit einem Spionageauftrag nach Frankreich zurück, wird von den deutschen Besatzern 1944 verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert. Hessel entgeht der Hinrichtung, indem er die Identität eines Toten übernimmt. Während eines Gefangenentransports nach Bergen-Belsen springt er aus dem Zug und flieht.

Nach dem Krieg steht ihm der Sinn nicht nach Vergeltung, sondern nach Versöhnung. Sie scheint ihm am ehesten geeignet, einen Rückfall in die Barbarei zu verhindern. Hessel stellt sein Leben in den Dienst der Menschenrechte. Als die Vereinten Nationen beschließen, sie mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit auszustatten, zieht er nach New York, tritt 1948 der UN-Menschenrechtskommission bei. Die UN-Menschenrechtserklärung ist auch sein Werk. Die darin propagierten Werte sind auch seine Werte. Den Glauben an sie sollte er nie verlieren. Vom Fall der Berliner Mauer bis hin zum Arabischen Frühling: immer wieder sah Hessel die Menschheit auf gutem Wege. Und jedes Mal, wenn Hoffnung aufkeimte, hatten Menschen sich zuvor empört.

Alles, was dieser integere Mann sagte und tat, wirkte stimmig. Hessel hat sich bewahrt, sich nicht verbiegen lassen. Dabei hat er sich nicht etwa abgekapselt. In vielen Welten hat er sich umgetan, sich unterschiedlichsten Einflüssen ausgesetzt. Er verkehrte mit Rebellen, Diplomaten, Philosophen und Literaten, war selbst Rebell, Diplomat, Philosoph, Literat. Aber da war eben auch diese Konstante: Hessel war mit Leib und Seele Humanist. Eine unerschütterliche Liebe zur Menschheit, der feste Glauben an das Gute im Menschen, das zeichnete ihn aus, das hat er sich erhalten. Woraus sich dann die andere Konstante ergab, der Zorn, die Empörung, wenn Menschenwürde, Menschenrechte missachtet werden. Davon hat er sich zeitlebens leiten lassen – zu sehr, wie Kritiker meinen. Liebe und Empörung sei zu wenig, um die Welt zu verbessern, finden sie. Und klare Konzepte, wie Politik und Wirtschaft in Zeiten der Globalisierung menschlicher funktionieren könnten, ist Hessel ja auch in der Tat schuldig geblieben.

Er besaß ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden

Er war kein Ökonom, kein Politikwissenschaftler, kein Analytiker, der die Anpassung an die Moderne hätte gestalten können. Was er besaß, war ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, das ihm signalisierte: da sind die Dinge aus dem Lot geraten, da musst du dich wehren. Hessel tat es dann auf seine Art. Hellwach, freundlich, gelassen, seine Worte mit feiner Ironie würzend, stets bemüht, schwach flackernden Widerstandsgeist anzufachen, Zuhörer zur Zivilcourage zu ermutigen. Hinzu kam die Überzeugung, dass die Mühe des Aufbegehrens lohnt. Der Spross einer jüdisch-protestantischen Familie, von den Nazis ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und gefoltert, war ein lebensfroher Optimist. So sehr er sich an den Missständen der Welt störte, so sehr freute er sich zugleich an ihrer Schönheit. Jeden Moment konnte dieses Lächeln aufscheinen, das zu besagen schien: Nein so etwas, ist dieses Leben nicht aufregend, lustig, seltsam?

An den Dalai-Lama erinnerte Hessel, der Tiefgang und Leichtigkeit ebenfalls mit großer Selbstverständlichkeit zu verbinden weiß. Im vergangenen Dezember hatten sich die beiden in Prag getroffen und über Gewaltlosigkeit debattiert. Sichtlich beglückt über die Begegnung mit dem tibetanischen Religionsführer war Hessel nach Paris zurückgekehrt. Er hatte jemanden getroffen, der ebenfalls weniger mit Argumenten überzeugt als mit untadeliger Lebensführung, integerer Persönlichkeit – mit seinem Menschsein eben.

1941 schließt sich Hessel dem Widerstand um de Gaulle an

In Berlin war Hessel während des Ersten Weltkriegs 1917 zur Welt gekommen, als zweiter Sohn der lebensfrohen Malerin Helen Grund und des Schriftstellers Franz Hessel. Als Siebenjähriger zieht der Junge mit der Mutter nach Paris, wo er in Künstlerkreisen aufwächst, bald zweisprachig wird und sich zwölf Jahre später einbürgern lässt. 1941 schließt er sich in London den Widerstandskämpfern um General de Gaulle an, kehrt mit einem Spionageauftrag nach Frankreich zurück, wird von den deutschen Besatzern 1944 verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert. Hessel entgeht der Hinrichtung, indem er die Identität eines Toten übernimmt. Während eines Gefangenentransports nach Bergen-Belsen springt er aus dem Zug und flieht.

Nach dem Krieg steht ihm der Sinn nicht nach Vergeltung, sondern nach Versöhnung. Sie scheint ihm am ehesten geeignet, einen Rückfall in die Barbarei zu verhindern. Hessel stellt sein Leben in den Dienst der Menschenrechte. Als die Vereinten Nationen beschließen, sie mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit auszustatten, zieht er nach New York, tritt 1948 der UN-Menschenrechtskommission bei. Die UN-Menschenrechtserklärung ist auch sein Werk. Die darin propagierten Werte sind auch seine Werte. Den Glauben an sie sollte er nie verlieren. Vom Fall der Berliner Mauer bis hin zum Arabischen Frühling: immer wieder sah Hessel die Menschheit auf gutem Wege. Und jedes Mal, wenn Hoffnung aufkeimte, hatten Menschen sich zuvor empört.