Das ist die Vision: Von jedem Ort der Welt jede Urkunde des Archivs lesen können. Das Staatsarchiv Ludwigsburg arbeitet an der Verwirklichung des Traums und digitalisiert gerade seine Urkundenbestände aus der Zeit vor 1800.

Ludwigsburg - Die älteste Urkunde im Staatsarchiv Ludwigsburg stammt aus dem Kloster Schöntal und ist 860 Jahre alt. Mit einem Mausklick holt der Archivleiter Peter Müller eine Kopie dieser Stiftungsurkunde auf den Bildschirm seines Computers. Sie wirkt dreidimensional mit all ihren Wasserflecken und Faltstellen. Das Siegel hat sich sichtlich ins Pergament gedrückt. So weit ist das Bild ein sehr genaues Abbild des Originals. Dazu kommt nun aber, dass man die Schrift auf der Urkunde am Bildschirm vergrößern, jeden Quadratzentimeter Pergament wie unter einer Lupe genau in Augenschein nehmen kann. Und was das Schöne daran ist: das Schriftstück nimmt keinen Schaden – egal wie viele Nutzer sie künftig auch aufrufen.

 

Das Schreiben aus dem Kloster ist Teil eines großen Digitalisierungsprojektes, an dessen Abschluss 8000 Urkunden aus dem Staatsarchiv Ludwigsburg in einem digitalen Archiv einen zweiten Platz bekommen sollen. Es geht um schriftliche Quellen aus der Zeit vor 1800. Möglich macht das Robert Reiter. Der Österreicher ist seit Anfang des Jahres regelmäßiger Gast im Staatsarchiv Ludwigsburg ist. Ihn und Müller verbindet eine gemeinsame Vision. Beide träumen davon, den Bestand der europäischen Archive digital zu erfassen und damit für die Nutzer leichter zugänglich zu machen. Realisiert wird das ambitionierte Projekt von einem Archivzusammenschluss mit dem klingenden Namen Icarus. Dahinter verbirgt sich das International Centre for Archival Research, eine Recherchegemeinschaft, die aus 160 Instituten und Archiven in 30 Ländern besteht, die sich gemeinsam ins digitale Zeitalter aufgemacht haben. Das Geld für das Ludwigsburg-Projekt stammt aus Sondermitteln des Landes und aus Spenden. Mit etwa vier Euro schlägt eine Urkunde zu Buche.

Urkunden kann man nicht schnell mal kopieren

Im Moment dürfen die empfindlichen pergamentenen Schriftstücke nur mit Stoffhandschuhen angefasst werden. Und wer – was eher die Regel als die Ausnahme ist –nicht sofort entschlüsseln und übersetzen kann, was auf den Urkunden steht, muss immer wieder kommen. Denn ausleihen wie ein Buch oder schnell mal kopieren kann man die historischen Zeugnisse aus konservatorischen Gründen nicht.

Reiters Instrumentarium, um die Urkunden zu schützen und sie gleichzeitig weltweit zugänglich zu machen, ist ein Scanner. Der steht im Ludwigsburger Staatsarchiv. 1500 Urkunden hat der Scanman, wie Reiter sich selbst nennt, durch die tatkräftige Unterstützung von drei geschichtsinteressierten Helferinnen aus dem Bundesfreiwilligenjahr schon erfasst. Mit weißen Archivhandschuhen falten sie die Urkunden vorsichtig auseinandere, bevor sie mit mehreren Magneten auf der Arbeitsfläche des Scanners fixiert werden. Etwa 100 Urkunden pro Tag schafft das Team. Wenn Scanman Reiter seine Gerätschaften wieder einpackt, wird das Staatsarchiv Ludwigsburg mit insgesamt 17 500 Dokumenten etwa 60 Prozent seines Urkundenbestandes digitalisiert haben.

132000 heruntergeladene Dokumente im letzten Jahr

Seit der Jahrtausendwende hat das Archiv Teile seines Bestandes ohnehin digital aufbereitet. Wie etwa die mikroverfilmten Aktenbestände aus der NS-Zeit, der Landeskunde und aus dem Staatstheater Stuttgart. Die Mühe hat sich gelohnt, wie die Zahl der Zugriffe zeigt. Von den 850 000 Dokumente des Archivs wurden im Jahr 2015 etwa 132 000 heruntergeladen. Müllers Resümee: „Jeder siebte bis achte Klick führt zum Download.“

Tag des Archivs

Archivtag
Am Samstag, 5. März, geben auch viele Ludwigsburger Institutionen von 13 bis 17 Uhr Einblick in ihre Archivarbeit.

Stadtarchiv
Mit dem Thema Mobilität beschäftigt sich ein Vortrag des Archivleiters Simon Karzel zur „Die Lebensreise der Helene Guttmann“. Um 17 Uhr führt er durchs Archiv.

Staatsarchiv
Auch hier gibt es Führungen durch die Magazine. Robert Reiter zeigt, wie er Urkunden digitalisiert und scannt auch Dokumente ein. Institut
Das Institut für die Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut zeigt seine Papierrestaurierung.