Sean Rainbird, der Direktor der Staatsgalerie in Stuttgart, legt zum Abschied seinen Finger in die Wunden des Betriebs.

Stuttgart - „Britische Zurückhaltung“ ist dem Chef der Stuttgarter Staatsgalerie in den vergangenen Jahren meist dann attestiert worden, wenn man ahnte, dass hinter den Kulissen des Hauses nicht nur eitel Sonnenschein herrschte, Sean Rainbird aber trotzdem nicht aus der Deckung kam. Einen Teil dieser Zurückhaltung hat der scheidende Direktor des wichtigsten baden-württembergischen Landesmuseums in seiner Abschiedsrede am Donnerstag nun aufgegeben und dem Land als dem Träger der Staatsgalerie ein paar überaus beherzigenswerte Empfehlungen ins Stammbuch geschrieben, wie für eine gedeihliche Zukunft dieses „herrlichen Museums“ zu sorgen sei.

 

Zugleich gab Rainbird zu, dass er sich in seinen sechs Stuttgarter Jahren stets an seinen Vorsatz gehalten habe, „niemals auf den Tisch zu hauen und nicht laut zu werden“. Nur so sei es ihm gelungen, „Magengeschwüre zu vermeiden“ und seine Souveränität zu wahren. Waren diese Bemerkungen schon Hinweis genug, dass der Grund für seinen Wechsel an die Nationalgalerie in Dublin nicht allein bei Vermeer und Velazquez zu suchen ist, die dort an den Wänden hängen, wurde er im Folgenden – wenn auch indirekt – noch deutlicher: Ein auswärtiger Museumskollege habe ihm lapidar bestätigt, „dass die Schmerzgrenze in Stuttgart einfach zu hoch sei“.

Der Staatsgalerie, so Rainbird in seiner Bilanz, gebricht es hauptsächlich an zwei Dingen: zum einen an einer angemessenen finanziellen Ausstattung – der Landeszuschuss deckt nicht einmal die Personalkosten zur Gänze, für Ausstellungen stehen ihr überhaupt keine Mittel zur Verfügung – und zum anderen an der nötigen Unabhängigkeit von Politik und Verwaltung. In Zeiten knapper Kassen sei das Museum zunehmend gehalten, Sondermittel zu beantragen. Für zeitlich begrenzte Projekte funktioniere so ein System ganz gut, aber wenn es die alltäglichsten Bereiche, vom Arbeits- und Datenschutz über Notausgänge bis zum Geschäftsführer und zur Sammlungserfassung, so ziemlich alle Bereiche und Aktivitäten des Hauses betreffe, dann sei damit nicht nur ein ungeheurer bürokratischer Aufwand verbunden. Zugleich begünstige dieses System eine Gängelung durch die Politik. „Ich sehe eine große Gefahr, wenn von oben über Anweisungen direkt auf das Ausstellungsprofil des Hauses eingewirkt wird“, sagte Rainbird. „Man hat mich nach Stuttgart geholt, um mit den Wissenschaftlern hier und mit Gastkuratoren kreativ und tatkräftig zu arbeiten, nicht um anderen Platz zu machen bei den Kernaktivitäten des Hauses.“

Rainbird plädiert für das angelsächsische Modell

Der Brite plädiert daher für „ein Umdenken bei der Finanzierungsphilosophie des Landes“. Mittel für Ausstellungen, Ankaufsbudgets und Kernaufgaben gehörten allein in die Zuständigkeit des Museums. Um die Institution zu stärken, bedarf es nach seiner Ansicht überdies eines anderen „Regiemodells“, das die bisherige hierarchische Beziehung zwischen „vorgesetzter“ Behörde und „nachgeordneter“ Einrichtung ablöse. Hier spricht sich Rainbird für das angelsächsische Modell von „Trustees“ – Stiftungsräten oder Treuhändern – aus, die als verantwortliches Gremium „Reibungsverluste zwischen Museum und Ministerium reduzieren“. Wer diese Rolle übernehmen könnte, weiß er auch schon: der Vorstand der Freunde der Staatsgalerie.

Rainbirds großer Wunsch zum Abschied ist der dauerhaft freie Eintritt. Die Besucherzahlen 2009, als der Besuch der Staatsgalerie ein halbes Jahr lang nichts kostete, hätten sich um 250 Prozent erhöht. Rainbirds Schlusswort: „Ich bin für starke Institutionen. Die Herausforderungen werden wachsen. Aber die Staatsgalerie hat es verdient, gefeiert zu werden.“