Zwei Gleisarbeiter sind im Februar 2012 bei Möhringen von einer Stadtbahn erfasst worden. Drei SSB-Mitarbeiter müssen sich nun vor dem Stuttgarter Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung verantworten.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - An mehr als einen Schlag kann sich die 51-jährige Stadtbahnfahrerin nicht erinnern. Das Wort Unfall kommt ihr nicht mehr über die Lippen. „Der Tag, an dem das geschehen ist“, sagt sie über den 16. Februar im vergangenen Jahr. An jenem Tag geschah auf den Stadtbahnschienen zwischen Sonnenberg und Möhringen ein Unfall, der die Frau aus der Bahn geworfen hat. Sie kann seither nicht mehr arbeiten. Zwei Mitarbeiter der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) wurden von der Stadtbahn, an deren Steuer die 51-jährige Frau saß, überrollt. Beide starben noch an der Unfallstelle. Erst nach einer längeren Pause konnte die Verhandlung beginnen. Die Stadtbahnfahrerin ist psychisch angeschlagen und brach mehrfach in Tränen aus, als sie in den Saal kam. Nicht nur sie leidet. Ihr Lebensgefährte, ein Kollege, ist zurzeit auch wieder in psychologischer Behandlung. Er habe ebenfalls schon einen tödlichen Unfall gehabt, als seine Stadtbahn eine 17 Jahre alte Frau erfasste.

 

Drei SSB-Mitarbeiter müssen sich verantworten

Die Stadtbahnfahrerin steht zusammen mit zwei Vorgesetzten der Arbeiter, die für die Gleisbauten verantwortlich sind, wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht. Es soll geklärt werden, was die drei hätten tun können und müssen, um die Gefahr für die beiden Gleisarbeiter zu mindern. Die zu Tode gekommenen Kollegen arbeiteten mit einer Schleifmaschine am Gleis.

Der Schlag, der der Fahrerin in Erinnerung geblieben ist, war der Aufprall, als die Stadtbahn kurz nach 11 Uhr die beiden Arbeiter erfasste. Ungebremst sei die Bahn auf die zwei Männer zugefahren. Das ergab die Auswertung der Fahrzeugdaten, wie ein Sachverständiger in der Verhandlung aussagte. Den Fachmann hatte die Polizei an die Unfallstelle gerufen.

Sachverständiger: Die Fahrerin hat nicht gebremst

Der Experte konnte rekonstruieren, dass die Fahrerin erst 1,5 Sekunden nach dem Aufprall zu bremsen begann. Der gesamte Doppelzug rollte über die Unfallstelle, erst dann stand die Bahn. Warum die Frau die beiden Männer nicht gesehen haben könnte, ist dem Sachverständigen unerklärlich. Die Strecke ist schnurgerade, schon von Sonnenberg aus könne man 400 Meter weit bis Möhringen sehen. 360 Meter vor der Unfallstelle habe die Fahrerin den Antrieb zurückgenommen und die Bahn rollen lassen. So habe sich die Geschwindigkeit von den erlaubten 70 Kilometern pro Stunde auf etwas unter 60 verringert. Knapp 20 Sekunden brauche die Bahn für die Strecke bis zur Unfallstelle: „Sie ist also 20 Sekunden reaktionslos auf die Arbeitsstelle zugefahren“, folgerte der Sachverständige. Die Arbeiter trugen Warnwesten, neben den Schienen stand ein gelbes SSB-Fahrzeug auf dem Radweg.

Auch die beiden Männer hätten nicht auf den Zug reagiert. Wenn sie gemerkt hätten, dass die Bahn nicht dort, wo ein Warnschild steht, bremst, hätten sie laut dem Experten noch vier bis fünf Sekunden Reaktionszeit gehabt. Anhand der Spuren habe er jedoch herausgefunden, dass einer der beiden verunglückten Männer neben den Schienen kniete. Der andere war den Spuren nach vornübergebeugt. Das vermittele ihm den Eindruck, als ob die 39 und 40 Jahre alten Männer die herannahende Bahn nicht bemerkt hatten. 80 Meter vor der Unfallstelle habe er ein Schild gefunden, das eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 15 Kilometer pro Stunde ankündigte. Ein etwas geringer, aber noch ausreichender Abstand, so der Fachmann. Ein zweites Schild, das anzeigt , wo Tempo 15 erreicht sein musste, lag neben den Schienen umgedreht im Gras. Ob es aufgestellt war, war nicht mehr nachvollziehbar.

Ein Haltezeichen wurde nicht gefunden

Nicht gefunden wurde ein sogenanntes Schutzhaltzeichen. Steht dieses in den Gleisen, darf kein Zug weiterfahren. Dieses Schild oder ein dritter Kollege hätten nach Sicht des Experten an der Arbeitsstelle sein müssen, um diese ausreichend zu sichern. Denn da sie eine 66 Kilogramm schwere Maschine dabei hatten, galt die beiden nicht mehr als „Kleingruppe“. Nur eine solche Gruppe darf zu zweit ohne zusätzliche Sicherung ans Gleis. Während einer arbeitet, muss der andere Kollege nach herannahenden Bahnen Ausschau halten. Einer der Vorgesetzten der Arbeiter sagte, die Arbeiter würden darüber an der Baustelle selbst entscheiden, sie seien dafür geschult.

Ordnungsgemäß angemeldet war die Baustelle. Alle Stadtbahnfahrer erfuhren über Funk, dass sie zwischen Sonnenberg und der Haltestelle Riedsee unbedingt auf die Kollegen achten und die Geschwindigkeitsbeschränkung einhalten sollten. In diesem Zusammenhang kam noch ein unbegreiflicher Fakt zur Sprache: Just als dieser Funkspruch kam, machte die 51-jährige Stadtbahnfahrerin in der SSB-Kantine am Charlottenplatz Pause und verpasste ihn.