Die Vertikalität wird überbetont, das bisher eingeschossige Erdgeschoss wird mit dem ersten Obergeschoss zu einem unproportionierten zweigeschossigen Gebäudesockel zusammengefasst, darüber ein sechsgeschossiger steinerner Überbau. Es entsteht ein verpanzertes Einkaufszentrum, ein Monumentalbau, der Passanten und Kunden zu Zwergen degradiert. Ein fremder Bau an der Königstraße, Architektur mit einer Formensprache, die mit Vertikalität und großer Höhe ihre Macht zum Ausdruck bringt. Und dies gerade gegenüber dem höchst qualitätvollen, die Königstraße bereichernden Mittnachtbau der Architekten Eisenlohr und Pfennig von 1928.

 

Die Hoffnung, dass wir uns längst zivileren Architekturen und Mitteln zugewandt haben, wird enttäuscht. Denn beim Gang durch die Stadt entdeckt man weitere Gebäude ähnlicher Haltung. Vor allem das Gerber, die Shopping-Mall zwischen Tübinger- und Paulinenstraße spricht mit seiner achsial gegliederten, monumentalen Fassade eine ähnliche Sprache. Die Chance, mit dem Karstadt-Umbau und dem Gerber der Königstraße und den innerstädtischen Stadtquartieren wieder Gewicht und Gesicht zu geben, ist vertan worden. Stattdessen machen sich auch an der Architektur der Stadt die gleichen Tendenzen wie in der Politik und Gesellschaft bemerkbar. Gebautes war schon immer ein Seismograph für Stimmungen, für geistige Entwicklungen und Haltungen, die ernst genommen werden müssen.