Das geht natürlich auch auf die Betrachtung unserer Stadt zurück, die Tradition hat seit der Nachkriegszeit, nämlich den öffentlichen Raum nie wirklich zu sehen, sondern Häuser als Einzelobjekte oder Objekte im Ensemble zu betrachten, aber nie wirklich den so wichtigen Raum zwischen den Häusern. Das hat auch mit der deutschen Realität zu tun, Architektur wird auseinanderdividiert betrachtet, nicht ganzheitlich. Städtebau, Hochbau und Landschaftsarchitektur arbeiten zeitlich versetzt, getrennt voneinander. Konzepte werden formuliert in Maßstäben, die eine Betrachtung der Gebäude und des öffentlichen Raumes nicht ermöglichen, oder nur sehr abstrakt. Wir Architekten und Planer müssen hier zu integrativen Prozessen, zu interdisziplinärer Arbeit finden, um lebenswertere Stadtquartiere zu schaffen.

Wir sind die Stadt des "Bisschen", haben zum Beispiel eine U-Bahn, die auch oben, sowie eine Straßenbahn, die auch unten fährt. Bekommen einen unterirdischen Bahnhof, der nicht unter der Erde ganz verschwindet, sondern zu einem guten Teil oben herausschaut, vielleicht landschaftlich wegmodelliert, aber eben wieder nur ein "bisschen" unterirdisch.

Stuttgart scheint mehr nach Berlin zu schielen


Stuttgart ist traditionell, vom religiösen Hintergrund und vom Bevölkerungshintergrund her, keine Stadt der Visionen, sondern eine Stadt der Verbesserungen und des Abarbeitens von Problemen, auch des pragmatischen Erfindergeistes. Man wünschte sich, Probleme würden nicht immer erst geschaffen, um sie dann abarbeiten zu können. Man wünschte sich, Stuttgart würde sich bei den neuen Projekten ein, zwei oder drei Visionen, Risiken erlauben, und zwar Risiken im positiven Sinne; dass etwas entstehen könnte, das ganz anders ist als die Nachbarschaft oder das bisher Vorhandene, dass etwas entstehen könnte, das einen Sprung ins 21. Jahrhundert oder eine Zukunftsvision bedeuten könnte.

Ähnlich dem Museum in Graz, das tatsächlich nicht in diese Stadt passt, aber es hat der Stadt doch etwas ganz Besonderes hinzugefügt. Oder die Highline in New York, Coop-Himmelblaus Kino in Dresden, alles Dinge, die in einer Stadt ganz besondere Aspekte bearbeiten und in einem Kontext Besonderes bewirken können, auch und speziell für den öffentlichen Raum. Alle zeichnet aus, dass sie noch etwas Weiteres ansprechen, etwas das über die Lösung der Aufgabe hinausgeht. Aber Stuttgart scheint mehr nach Berlin zu schielen, wenn es Vorbilder sucht, nach dem vermeintlich Ordentlichen und nicht nach dem Aufregenden, Gewagten, Offenen, das viel mehr zu dieser Stadt passen würde, die so viel Kreativität, oder besser Schaffenskraft, in vielen anderen Bereichen zeigt.

Beobachten wir uns doch einmal selber, in welche Städte wir so gerne reisen: Rom, Istanbul, Paris, New York. Alles Städte, geprägt durch scheinbare Unordnung, durch Brüche, die oft der Zeit geschuldet sind. Hier fühlen wir uns wohl, befreit, finden es lässig, offen, freundlich, eben nicht dominierend und beklemmend. Wenn wir dann unsere eigenen Städte planen, vor allem wenn wir neue Quartiere planen, schließen wir eben jene Aspekte aus, die wir in anderen Städten so schätzen. Dann wollen wir Ordnung, schreiben die Dachneigungen, die Farben, den Anteil der geschlossenen Flächen in den Fassaden, aber auch sonstige Gestaltungsmerkmale vor, um sicherzustellen, dass das Neue keinesfalls deutlich anders als das Alte erscheint, sich anpasst, im Existierenden untergeht. Wir planen unsere neuen Quartiere mit großem Fleiß, nicht mit mutiger Generosität.

Unsere Häuser müssen einladen zum Verweilen


Gute Architektur zeigt sich nicht im regelmäßigen Raster, sondern durch die Bereicherung unseres täglichen Lebens. Gebäude sind keine normierten Bausteine in einer Stadt, keine Einzelobjekte, die möglichst gut eingebunden im Ensemble, unter Verleugnung der eigenen Identität, existieren. Sie sind ein Teil der Stadt, sie sind Individuen, aber vor allem bilden sie unseren öffentlichen Raum, einen Raum, der in der gebauten Realität wiederum nur als Standort der unterschiedlichsten Infrastrukturelemente betrachtet wird. Er könnte so viel reicher sein, wenn er sich am Menschen und nicht an den Dingen, die man hier unterbringen will, an möglichen Event- und Vermarktungsflächen, an Infrastrukturelementen orientieren würde.