Der Ökonom Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft hält die schwarze Null auch aus demografischen Gründen für richtig. Besser noch wären Überschüsse, sagt er im StZ-Interview.

Berlin - Der Volkswirt Alfred Boss ist beim Institut für Weltwirtschaft, das seinen Sitz in Kiel hat, zuständig für die Forschungsschwerpunkte Öffentliche Haushalte, Steuerpolitik, Sozialversicherung und Subventionswesen. Der 68-Jährige war jahrzehntelang Mitglied des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ beim Bundesministerium der Finanzen und hat in dieser Funktion verschiedene Finanzminister beraten.

 
Herr Boss, ist die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt ein Quantensprung?
Es ist sicherlich etwas anderes als das, was wir über Jahrzehnte hinweg gewohnt waren. Ich würde nicht vom Quantensprung sprechen, aber von einem großen Schritt in die richtige Richtung. Eines darf man aber nicht übersehen: Finanzminister Schäuble profitiert stark von den gesunkenen Zinsen. Von der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank profitieren nicht nur die Krisenländer, sondern auch Bund, Länder und Gemeinden. Die aus meiner Sicht verfehlte Politik der EZB hilft extrem, um die „schwarze Null“ in den Haushalt 2015 hineinschreiben zu können.
Wie sind die Chancen, dass der Etat Ende 2015 wirklich ohne neue Schulden auskommt? Schließlich gibt es bisher nur den Entwurf.
Alfred Boss Foto: StZ
Ich sehe gute Chancen, dass es wirklich klappen wird. Die gesamtwirtschaftliche Prognose, die dem Haushalt zugrunde liegt, ist angemessen. Entscheidend ist aber die Zinsentwicklung. Das zeigt ein Vergleich: Im Jahr 2008 hat der Bund für Zinsen rund 40 Milliarden Euro aufgewendet. Im kommenden Jahr sollen es 25,6 Milliarden Euro sein. Der Bund muss wesentlich weniger für Zinsen ausgeben, obwohl der gesamte Schuldenberg stark gestiegen ist.
Ist es aus ökonomischer Sicht wichtig, dass beim Etatabschluss eine Null steht?
Im Moment sind die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten in Deutschland normal ausgelastet. Aus ökonomischer Sicht könnte sich der Bund damit verschulden, sofern die neuen Schulden für Investitionen verwendet würden. Wir wissen aber aus der Vergangenheit, dass der Staat meistens für andere Zwecke Kredite aufgenommen hat. Deshalb ist der Verzicht auf neue Schulden vernünftig. Noch besser wäre es, wenn wir wegen der absehbaren demografischen Lasten über einige Jahre hinweg Überschüsse hätten.
Es gab schon in der Vergangenheit viele Anläufe zur „schwarzen Null“. Hat Schäuble einfach nur Glück?
Nein, es ist mehr. Es ist ein Umdenken auf allen staatlichen Ebenen festzustellen. Seit der Einführung der Schuldenbremse ist ein Sinneswandel eingetreten. Allerdings gibt es einige Länder, die die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben. So lässt etwa Nordrhein-Westfalen wenig Neigung erkennen, den Haushalt in Ordnung zu bringen. Baden-Württemberg ist dagegen ein positives Beispiel.
Die Regierung sagt, es solle in den nächsten Jahren Haushalte ohne neue Schulden geben. Glauben Sie denn daran?
Ich sehe gute Chancen, dass der Bund in den nächsten Jahren einen ausgeglichenen Haushalt erreichen wird. Es wird aber auf EU-Ebene und auch international Druck auf Deutschland ausgeübt, mit höheren Ausgaben die Konjunktur anzukurbeln. Es ist möglich, dass die Bundesregierung diesem Druck irgendwann nachgibt.